In Hill Town hatten wir einmal Gelegenheit, einer solchen
Probe beizuwohnen. Ein junger Mann in dieser Stadt wurde
angeklagt, seinen Vater vergiftet zu haben1). Es lagen sehr beschwerende
Indizien gegen ihn vor, und da er hartnäckig seine
Unschuld betheuerte, so beschloss man, ihn den Sassholztrank
trinken zu lassen. Eine Schale voll dieses braunen Saftes, den
•der Stadtdoktor bereitet hatte, musste er leertrinken. Die Spannung
der Menschenmenge war ungeheuer gross, als der Ma.rm
den Becher aus der Hand des Zauberers in Empfang nahm und
unter den Beschwörungen des Letztem leertrank. Nach einem
kurzen Augenblicke lautloser Stille fing er an zu gurgeln und
spie den ganzen Inhalt des Bechers wieder aus. Er war
unschuldig! Ein stürmischer Jubel brach von allen Seiten los;
man kam und schüttelte ihm die Hände; die Frauen umarmten
ihn, Gewehre wurden abgefeuert, und mit Trommeln und Holzklappern
wurde ein fürchterlicher Lärm gemacht, während dessen
der freigesprochene Delinquent, infolge der Aufregung mehr todt
als lebendig, sich auf eine Bank im Palaverhause niedergelegt
hatte.
Die Gelegenheit, um Gottesurtheilen, welcher Art auch, beizuwohnen,
bietet sich dem Weissen höchst selten, da diese
A.rt der Rechtspflege durch die liberianische Regierung verboten
ist und die Eingebornen dieselbe verborgen zu halten suchen.
Dass sie aber nichts desto weniger selbst in allernächster Nähe
liberianischer Ansiedlungen noch vorkommt, haben wir an obenerwähnter
Palmölprobe gesehen.
Die der Zauberei überführten und executirten Leute werden
bei den Bassaleuten nicht begraben, sondern auf irgend einem
dafür bestimmten Platz im Walde auf die Erde hingelegt und
der Verwesung, preisgegeben. Am River Cess befand sich eine
solche Stelle im Uferwalde gegenüber der schon früher erwähnten
Insel der Todten.
Dass bei den Eingebornen Afrika’s die Hexen- oder Zaubererprozesse
(mtch-palavers) noch stets, oft sogar in unmittelbarer
') Jemand vergiften heisst bei den Vey schlechte Medizin (buli n’jama)
eingeben.
Nähe von Missionsstationen, eine bedeutende Rolle spielen, braucht
uns nicht zu verwundern, wenn wir bedenken, dass diese mittelalterliche
Art der Rechtspflege sporadisch selbst in Europa
bis in' unser aufgeklärtes Jahrhundert herüberreicht. Wird doch
noch aus dem Jahre 1823 von einer Wasserprobe berichtet,
welcher sich eine im Verdachte der Hexerei stehende Frau in
dem holländischen Dorfe Deldenerbroek zu unterziehen hatte 1). ‘
Der unter den Eingebornen allgemein herrschende Aberglaube
ermöglicht den zahlreichen Fetischdoktoren, in der Veysprache
buli-kai genannt, eine lohnende Existenz, da dieselben nicht allein
durch das Anfertigen und Einsegnen von Grigris, sondern auch
durch Beschwörungen von Zauber u. dgl. viel Geld verdienen.
Ein richtiger buli-kai weiss überall Rath zu schaffen. Bekommt
z.B. eine Frau keine Kinder — was, nebenbei gesagt, als eine
groSse Schande gilt - so schreibt sie dies einem auf ihr
lastenden Zauber zu und holt sich beim Fetischdoktor Rath,
welcher sofort bereit ist, für eine geringe Entschädigung den
Zauber zu lösen. Es müssen dann saras gelegt oder auf andere
Weise die bösen Geister günstig gestimmt werden. Oft verlangt
der Doktor eine ganze Reihe von Gegenständen. Einige derselben
werden, nachdem die nöthigen Zauberformeln darüber gesprochen
sind, begraben oder in den Fluss geworfen, andere sind dazu
bestimmt, um „verkauft” zu werden, worunter der Doktor versteht,
dass dieselben ihm übergeben werden müssen. Unter den
Letztem sind ein gewisses Quantum Reis oder ein weisses Huhn
die gebräuchlichsten. Immer nennt der Zauberer genau die Farbe
dieser Opfer, und wenn z.B. kein weisses Huhn herbeigeschafft
werden kann, so muss ein Stück weisses Baumwollzeug an dessen
’ Stelle treten. Weiss und Roth scheinen die beiden Farben
zu sein, welche bei solchen Gegenständen allen ändern vorgezogen
werden. Dabei macht ■ der Doktor seinen Clienten allerlei
Vorschriften über das Vermeiden gewisser Speisen. So findet
man z.B. Personen, die kein Huhn, Andere, die kein Affenfleisch,
und wieder Andere, die kein Fleisch, einer ihnen speziell
i) Tjjdsehrift van het Nederlandsch Aardrijkskundig Genootschap, Amsterdam,
1888, p. 17.