nen in den nachfolgenden, besondern Capiteln zu behandeln,
statt meine diesbezüglichen Beobachtungen in die Reiseerlebnisse
einzuflechten. Je näher ich diese Menschen kennen lernte, je
mehr mir in die Tiefen ihrer Kultur zu blicken vergönnt war,
desto mehr erregten sie mein lebhaftes Interesse, desto mehr
drängte sich mir die Nothwendigkeit auf, meine Beobachtungen
zu einem Gesammtbilde zu vereinigen. Die Kulturstufe, auf
welcher die Eingebornen Westafrika’s stehen, ist keineswegs
eine so niedrige, wie man heute noch ziemlich allgemein anzunehmen
geneigt ist. Wir haben hier vielmehr eine Kultur vor uns,
die seit dem frühesten Alterthum bestand, aber ihre eigenen Wege
gegangen ist, und die uns in mancher Hinsicht ein Stadium vor Augen
führt, in dem sich einst die Völker Europa’s befanden, insoweit
nämlich nicht geographische und klimatische Einflüsse die Grundbedingungen
anders gestalteten. Während aber unsere Kultur
unaufhaltsam sich weiter entwickelte, ist diejenige der .Negervölker
auf einer gewissen Stufe stehen geblieben.
Zu den ältesten Quellen, welche uns über die Negervölker Westafrika’s
vorliegen und dabei ein äusserst reiches Material liefern,
ist das mehrgenannte Buch des Holländers Da p peb zu rechnen,
welches ich, soweit es speciell Liberia betrifft, sehr zuverlässig
befanden habe. Dieser in unserer Zeit leider beinahe vergessene
und jedenfalls viel zu wenig gewürdigte Autor entrollt vor
unsern Augen ein Bild der Kulturzustände und staatswirthschafb-
lichen Institutionen der Eingebornen, und ganz besonders der
Vey, so frisch und wahr, dass ich seine Angaben jetzt noch,
über 200 Jahre nach ihrem Erscheinen, beinahe Wort für Wort
unterschreiben könnte.
Wenn ich trotzdem meine eigenen Beobachtungen unverkürzt
niederschreibe, so geschieht dies nur , weil Da p p e b ’s Buch schwer
zugänglich ist und es überdies wünschenswerth erscheint, durch
neuere Berichte diejenigen alten Autoren, bei welchen man in
der Regel eine etwas überreiche Phantasie voraussetzt, bestätigen
oder eventuell auch korrigiren zu können. Bis dahin haben,
einige Ausnahmen abgerechnet, nur Handels- und Missionsinteressen
den Weissen mit dem Eingebornen zusammengeführt, und
doch sind die eigenartigen Kulturzustände und Sprachen der
Letztem in hohem Grade geeignet, die Aufmerksamkeit der
Ethnologen und Kulturhistoriker zu fesseln. Auch diese „wilden”
Negerstämme haben ihre in frühe Perioden hinaufreichende
Geschichte, keine geschriebene zwar, die sich an chronologisch
geordnete Pakten heftet, aber darum nicht weniger interessant für
den Ethnologen, der sie zu lesen versteht. Ich kann daher nicht
umhin, die Worte des englischen Sprachforschers Cust zu den mehligen
zu machen, wenn er sagt: „Glauben wir ja nicht, dass das
Studium der Sprachen wilder Völker nutzlos sei und zu keiner
weitern Kenntniss der Geschichte des Menschengeschlechts führen
könne, weil diese keine Literatur. besitzt und sich an keine
monumentalen Inschriften und Papyrusse heften kann. Im
Gegentheil! Gerade die Sprache ist die Stimme, die uns aus
der Wildniss zuruft: „„Wir sind Menschen, dieselben wie Ihr
in Schwäche, in Kraft und Leidenschaften: wir sind Menschen,
wie Eure Vorväter waren, bevor der Morgen ihrer Civilisation
dämmerte: wir sind Menschen, welche werden können, was
ihr seid, wenn man uns nur die Gelegenheit dazu giebt;
auch wir haben gekämpft gegen die Thiere des Waldes; wir
haben Gemeinwesen gegründet, haben feste Gebräuche und
Gesetze; wir haben unbewusst Sprachen und Dialekte entwickelt,
Sprachen, so wohl differenzirt, dass sie eure tüchtigsten Grammatiker
zum Studium herausfordem, Sprachen, theiis mit so. wohl
deftnirten euphonischen Gesetzen, dass sie denjenigen eurer gros-
sen arischen Rasse nichts nachgeben, theiis aber auch durch
Laute entstellt, die man eher für thierische statt für menschliche
halten möchte.” ” Solche Betrachtungen wecken im Herzen
des Philantropen und Philosophen die wärmste Sympathie; mit
heiligem Grauen schöpft er aus bisher verschlossenen Quellen;
mit Ehrfurcht nähert er sich dem Ursprung menschlicher Intelligenz;
es ist als ob er die lebende Natur erfasste und staunend
sein Loth in bodenloses Wasser senkte” ')•
Pie Eingebornen besassen früher das ganze Land bis an die
Küste heran und bewohnen auch jetzt noch, nebst dem ganzen
Hinterlande, ausgedehnte Küstengebiete, insofern diese nicht
’) Cust, The Modern Languages of Africa, I. p. 6V.