möglich, durchschlagende anthropologische Stammesunterschiede
aufzustellen. Im Allgemeinen bilden dieEingebornen einen gesunden,
kräftigen Menschenschlag; sie. sind körperlich gross und, soweit
nicht anhaltende Kriege ihre Existenzbedingungen allzu ungünstig
gestalteten, durchgehends gut genährt und wohlbeleibt. Obwohl es
an zahlreichen Ausnahmen, namentlich unter den Mandingo, nicht
fehlt, fand ich sie eher gedrungen und untersetzt als schlank
gebaut. Alle aber, die liberianischen Mulatten selbst nicht ausgenommen,
haben magere Hände und Finger.
Es ist überhaupt äusserst schwierig, einen allgemein gültigen
Typus festzustellen, sowohl in Bezug auf Körperbau, als auf
Hautfarbe, Gesichtsbildung, Charakter und Sitten1). Was die
Schädel- und Gesichtsbildung betrifft, steht jedenfalls der Einge-
borne Liberia’s über dem gewöhnlichen Negertypus. Der Gesichtsausdruck
zeigt grösse individuelle Verschiedenheiten, in seiner
Art nicht viel weniger als bei den Europäern, und nur die
Ungeübtheit unseres Auges ist schuld, dass es anfänglich so
schwer hält, die Neger von einander zu unterscheiden. Später,
nachdem sich das Auge an die neuen Formen gewöhnt hat, findet
man die Unterschiede zwischen den verschiedenen Individuen
sehr leicht heraus. Alle haben einen ziemlich stark dolichoce-
phalen Schädel, doch ist der Prognathismus durchgehends schwächer
ausgesprochen, als man nach den uns geläufigen Vorstellungen
erwarten sollte. Ebensowenig sind die Backenknochen besonders
stark vorspringerid, wohl aber ist der Schädel nach oben bedeutend
verschmälert, die Stirn schmal und deren Mitte, namentlich bei
Kindern, fast wie eine grosse Beule vorspringend. Die Nase ist
wohl breit angelegt, denn die Nasenflügel sind weit, und die ganze
Nase überhaupt nach unsem Begriffen unästhetisch, jedoch bei
weitem nicht in dem Grade, wie ich sie zum Beispiel bei Congo-
negem beobachtete. Ueberhaupt ist die Nase selten aufgestülpt,
i) Eigenthümlich ist die Art und Weise des Sitzens, welche nicht nur
sämmtüche Neger, sondern überhaupt alle eingebornen Tropenbewohner kennzeichnet.
Diese Letztem nehmen nämlich dabei bekanntlich eine auf die
Fersen niedergekauerte Stellung an, während die Orientalen auf gekreuzten,
untergeschlagenen Beinen, die Kaukasier aber auf Stühlen sitzen.
sondern ist die Spitze im Gegentheil gar oft bedeutend herabgezogen,
was eher an eine Adlernase erinnern würde, wenn diese
Bezeichnung überhaupt auf eine Negernase angewendet werden
könnte. Die Lippen sind nicht so wulstig und aufgeworfen, wie
man gewöhnlich annimmt; bei einigen Individuen sind sie sogar eher
schmal zu nennen. Das Gesicht hat die Form eines ziemlich vollen
Ovals, mit der grössten Breite zwischen den Backenknochen und
nach oben und unten sich allmälig verschmälernd. Eine der Hauptzierden
des Liberianegers bilden seine blendend weissen, gesunden
Zähne, die er durch fleissiges Ausspülen des Mundes rein erhält
und mit einem weichen Holzstäbchen in den Mussestunden häufig
polirt, etwas, das auch schon von Dapper erwähnt wird. Bei
den eingebornen Liberianern ist die Unsitte des Spitzfeilens und
des Ausziehens der vordem Schneidezähne so gut wie unbekannt1).
Ihre grossen, schwarzbraunen Augen blicken 'warm unter langen
Wimpern hervor. Die Ohrmuschel ist sehr klein, zierlich gebaut
und sitzt, wie mir vorkommt, um etwas niedriger als bei der
kaukasischen Rasse. Um von schönen Negern sprechen zu können,
muss man freilich nicht die bei uns als ästhetisch anerkannten
Formen als Maasstab anlegen, sondern die Leute von vorn herein
als andere Wesen betrachten, und wenn sich das Auge nach
längerem Aufenthalt unter diesen Schwarzen an die ihm vielleicht
erst hässlich vorkommenden Formen gewöhnt h at, dann
wird man bald unter vielen wirklich hässlichen Erscheinungen
auch gar manche schöne herausfinden und zu würdigen wissen.
Die H a u t f a r b e ist durchgehends ein helleres oder dunkleres
Bronzebraun. Ganz dunkelbraune Leute, findet man unter den
Eingebornen selten; ein reines Schwarz habe ich nie beobachtet.
Auch hierin muss besonders der Neuling sich in Acht nehmen,
damit er nicht die Liberianer mit den Eingebornen verwechselt.
Bei den Erstem , die aus allen Gegenden Afrika’s zusammengewürfelt
und unter einander ausserordentlich stark vermischt sind,
kommen denn auch alle möglichen, bis an das Schwarz des Ebenholzes
grenzenden Schattirungen vor. Wie bei allen Negern die
‘) Die einzige mir bekannte Ausnahme bildet der mehrerwähnte Kriegsoberste
des Königs Mo r a n a Sa n d o (siehe I . Band, p . 211).