„sich moralisch verpflichtet, dieses stolze Erbe ihren Enkeln und
„den Millionen von Negern ungeschmälert zu überliefern, die
„stets noch im Exil verweilen. Sie- können nicht zugeben, dass
„der ursprüngliche Zweck der Gründung Liberia’s zu Gunsten
„der Handelsinteressen von Sierra Leone leichtsinnig aufgegeben
„werde. England verlangt zu viel. Den Forderungen von Gouverneur
„ H a ve lock nachzugeben, wäre nationaler Selbstmord. Unser
„Volk fühlt dies denn auch landauf und -ab und würde lieber Liberia
„durch englische Waffen verwüstet sehen, als solche Concessionen
„machen. Die Macht England’s mag das Recht Liberia’s nieder-
„treten, vernichten lässt sich die Wahrheit nicht!” 1).
Nachdem Gouverneur H ave lock in den Gallinasländern durch
seine Agenten für eine Gebietsabtretung an England hatte arbeiten
lassen, landete seine Excellenz am 30. März, also einige Tage
nach seiner Rückkehr von Monrovia, in Sulymah, wohin er sofort
die Gallinasfürsten Zusammenkommen liess, um sie einen ihnen
vorzulegenden Abtretungscontrakt über dasselbe Küstengebiet
unterzeichnen zu lassen, auf das, wie bereits gesagt, Liberia
schon ältere Ansprüche hatte. Die Häuptlinge waren durch die
Agenten so vorzüglich vorbereitet, und die englischen Goldstücke
glänzten so verführerisch vom Tische des Gouverneurs herüber,
dass die meisten Negerfürsten, durch deren Glanz geblendet,
Unterzeichneten, ohne die Tragweite dieses Schrittes genau zu
kennen. „Der Eine dieser Fürsten, J ia h von Manna Rock — so
erzählt der Liberianer Dr. R o b e r t s , der diese Gegenden unmittelbar
nachher besuchte, im Observer vom 8. Juni 1882 —
dem die Sache doch nicht so ganz geheuer erschien, forderte einen
Tag Bedenkzeit. Der Gouverneur aber erklärte voll Entrüstung
über dieses Zaudern, er habe zum Warten keine Zeit, und
wandte sich zum Gehen. Einer der Agenten aber drückte dem
Unschlüssigen die Feder in die Hand, und gab derselben einen
Stoss, worauf er erklärte, J lah habe nun unterzeichnet.”
Laut diesen famosen Dokumenten, die übrigens , noch erst durch
die englische Regierung ratiücirt werden mussten (!), wäre also
jetzt das ganze Küstengebiet von Sherbro bis hinunter an den
*) Observer, 27 April 1882.
Manna River, auf eine Breite von U/s miles von der Strandlinie
landeinwärts gerechnet, an England abgetreten, und Liberia mag
zusehen, wie es wieder zu seinem Rechte kommt.
Trotz alledem schien England bestrebt zu sein, die Sache auf
friedlichem Wege zu ordnen. Am 15. Juni 1882 erschien nämlich
vor Monrovia das englische Kriegsschiff „Bullfrog”, Com-
mandapt F. P a p il l o n , und brachte eine Botschaft vom Gouverneur
H ave lo ck , die schwebenden Grenzfragen betreffend. Der Gouverneur
theilte in diesem Schreiben mit, dass er Von seiner Regierung
beauftragt sei, auf der unmittelbaren Unterzeichnung der Abtretungsakte
durch Liberia zu beharren, mit der Vergünstigung,
dass, nach dem allgemeinen Wunsche der liberianischen Autoritäten
(?), die Grenze an den Manna- statt an den Mahfa River
verlegt werde. Sollte aber Liberia die vorgestellte Uebereinkunft
zu unterzeichnen verweigern, so habe er Instruktionen, um die
s o f o r t i g e Ausbezahlung der mehrerwähnten 42,000 Dollars
Schadenvergütung zu verlangen. In letzterm Falle aber würde
die Grenzfrage unerledigt bleiben, und Ihrer Majestät Regierung
würde dann nicht mehr in der Lage sein, die Ansprüche Liberia’s
westlicher als bis zum Mahfa River anzuerkennen. Dem Präsidenten
waren 48 Stunden Zeit gegeben, um das Schreiben zu
beantworten.
Firi p. in der Eile zusammenberufene Notabelnversammlung, die
durch den Präsidenten zu Rathe gezogen wurde, erklärte jedoch
aufs bestimmteste , die Schadenersatzforderung nicht anerkennen
zu können, und dass es einzig und allein der gesetzgebenden
Versammlung zustehe, darin, sowie in der Gebietsabtretungsfrage
einen Beschluss zu nehmen. In diesem Sinne wurde das Schreiben
H a v e l o o k ’s beantwortet, worauf der „Bullfrog” nach Sierra Leone
zurückkehrte.
Am 23. desselben Monats kam mit dem Postdampfer „Ambriz”
ein anderes Schreiben vom Gouverneur H avelock, worin er bedauerte,
dass Liberia eine Regelung verweigert habe und zugleich
mittheilte, dass er darüber an seine Regierung berichtet
habe und neuen Instruktionen entgegensehe.
Der 26. Juli, der fünfunddreissigste Jahrestag der Republik,
wurde in diesem Jahre auf eine mehr als «gewöhnliche, festliche