
zwischen deren Büschen blaue Swertien blühen. Tags darauf auf dem
Rückwege nach Hsiao-Dschungdien durch dasselbe Tal hatte ich noch
vollauf zu tun mit der sehr interessanten und reichen Moos- und Flechtenflora
auf Tannen- und Weidenstämmen, morschem Holz und Moorboden.
Zwei Tage lang blieb ich in H s ia o -D s c h u n g d ie n . Es ist ein nicht
unansehnliches tibetisches Dorf- aus großen, rötlich gestrichenen Holzhäusern,
über ■ deren breite Giebeldächer die Getreidetristen noch etwas
emporragen; von Ferne erimiern die Gehöfte sogar an kleinere Bauernhöfe
53. Tibetische Herberge in Hsiao-Dschungdien. Jak als Tragtiere.
unserer Alpen. In der Umgebung gibt es eine Menge von Gebetmühlen
mit Wasserbetrieb, Gebetfahnen und Obos, Haufen von Steinen, auf denen
die Gebetsprüche ,Om mani peme hum“, „om wagi scheri mum“, ,om
baser peme hum“ und andere umfangreichere eingemeißelt sind. Es
herrschte reges Leben im Dorfe, das auf dem Hauptwege liegt; Karawanen
kamen durch, und der Anblick der stämmigen Tibeter mit ihrer braunen
Farbe, dem Schmuck aus Silber und Jaspis, den wirr herabhängenden
langen Haarsträhnen, gekleidet in den die Brust freilassenden grauen oder
roten Mantel, der um die Lenden zusammengeröllt ist zu einem Behälter
für ziemlich allen persönlichen Besitz, Lebensmittel, Geld, Eßschale, Tabaksbeutel,
Gebetmühle und Waffen, und die bunten Stoffstiefel hat für den
Fremden immer etwas Anziehendes. Sie benützen teilweise Jak als Tragtiere,
und diese schönen, aber recht nervösen Tiere waren es auch, die
das Brennholz in den Hof meiner Herberge trugen. Die Leute waren sehr
freundlich und viel manierlicher als die Chinesen; wenn sie bescheiden
um den Türpfosten herum mir zusahen, machten sie sich gegenseitig aufmerksam,
mir nicht das Licht zu verstellen. Ich konnte für 1 */* $ ein
Schaf kaufen und uns so für einige Tage mit Fleisch versorgen. Zu
längerem Aufenthalte war das Dorf aber doch nicht recht geeignet, da
nur ein altes Weib etwas chinesisch spricht, doch kamen gelegentlich
tibetisch sprechende chinesische Kaufleute durch. Von einem solchen erklärte
mir mein Dolmètscli: ,11 parle cinque tibétains“ und meinte damit,
daß er die Sprachen von fünf einheimischen Völkern spricht: „Man-hwa“
(„die Sprache der Wilden“), das ist hier in erster Linie Tibetisch, hatte
er mich „tibétain“ nennen gehört, und diese Bezeichnung dehnte er nun
auf alles Nichtchinesische aus! Von ihm bekam ich erwünschte Auskunft
für meine weitere Reise an dem Mekong, die ich am 15. antreten wollte.
Es sollte anders kommen. Am Vorabend kam mein nach Dschungdien
geschickter Bote zurück und brachte S chneiders Depesche Von dem
Riesenbrand im „kultivierten“ Europa. Wie kultiviert war es dagegen dort
in dieser friedlichen Wildnis! Da man allgemein davon gesprochen hatte,
daß in einem solchen Falle die ’Sicherheit der Europäer in China gefährdet
sei, S chneiders Depesche auch auf Umkehren lautete .und ich es zwar
moralisch, nicht aber Militärgerichten gegenüber vertreten konnte,: meiner
zu gewärtigenden Einberufung auszuweichen, kehrte ich also um, nachdem
ich noch abends meine Sachen so verteilt hatte, daß ich im Falle einer
Verzögerung mit drei Tragtieren mit der Ausbeute und den allernotwendigsten
Reisegegenständen vorausgehen konnte. Der Weg führt seitwärts
des Dschungdjiang-ho erst auf Schotterterrassen eines alten Seebeckens, in das
der Fluß nur wenig einschneidet, und dann mehrerer kleinerer seitlicher,
die durch bewaldete Rücken und Hügel getrennt sind, einmal über einer
heißen Quelle und dann an großen, zerstreuten, inmitten grüner von sanften
Waldhängen eingerahmter Wiesen und Felder gelegenen Tibeterdörfern
vorbei, einer Dölinenreihe entlang, die zwischen den beiden Tälern in
gleichem S i n n e hinzieht, weiter durch ununterbrochenes Waldland, einmal
so hart an den Rand des Rückens, daß er einen allerdings unvollständigen
Ausblick auf das Tal von Alo gestattet, dann durch Dschungel und
sumpfigen Wald als Prügelweg an- und wieder absteigend zum kleinen
Tempel Minyü, wo er wieder den Steilhang der hier bereits tiefen Schlucht
des D s c h u n g d jia n g -h o erreicht, über der aber jenseits das Gebirge
immer noch nur flachwelliges Waldland ist. Ein Stückchen weiter liegt
auf einer Schulter, die in eine Schlinge des Flusses hinausragt, der Lagerplatz
Yidjiadschön, eine Waldwiese, die voll von Blutegeln ist. Die Pferde