
Kleider sind auch überflüssig, denn es ist warm genug, und den Leuten —
nicht nur kleinen Kindern — beiderlei Geschlechtes genügt nicht ganz selten
das Adamsgewand. „Wo sind jetzt die Wilden, die keine Kleider anhaben?“
fragte ich jetzt meinen Diener, dessen Trumpf immer noch die Erzählung
.vom Djiou-djiang war, Ich aber zog meine Vergleiche mit den wohnlichen
Dachräumen der Nahsi-Häuser, die ich vermißte, seit ich wieder auf die
jämmerlichen Ghinesenhütten angewiesen war. Auch bei diesen Klimaverhältnissen
mußte ich noch staunen, als ich in einem Dorfe vor Hsintschwang
Carica Papaya angepflanzt fand, die Tropenfrucht, die ich aus Yünnan
nur von Manhao am Roten Fluß kannte und die hibr und bei Beyendjing,
wo sie Sim. T en sammelte, wohl ihre einzigen außertropischen Vorkommen
hat. Auch eine zweifellos wilde Baumwolle, Gossypium obtusifolium,
ein ansehnlicher Strauch zwischen Felsen bei der Herberge halbwegs
zwischen Hsintschwang und Loloping und später noch einmal an Rasenhängen
gehörte zum Interessanten der Ausbeute, denn sie ist bisher nur
aus Indien bekannt. Mittags am 3. November setzte ich über den Djinscha-
djiang auf der wegen der reißenden Strömung gefürchteten Fähre von Loloping.
Einem Maultier gefiel aber das lange Warten nicht, es sprang aus dem Boote
auf der anderen Seite ins Wasser und schwamm durch den ganzen Fluß.
In J e n h o g a i in dem von Süden kommenden Seitentale begegnete
ich Père Durieu aus dem nächsten Marktflecken, der die neuesten Kriegsnachrichten
hatte. Alle die Missionäre waren viel sachlichër geworden,
als sie unter dem Eindrücke der ersten Zeitungsenten gewesen waren,
und unsere Ansichten über Kriegsursachen brachten uns einander sehr
nahe. Talaufwärts gab es bei einer kleinen Holzbrücke etwas Aufenthalt.
Von rückwärts durch die Büsche merkte ich, daß die Leute eine herabgefallene
Last aus dem Wasser zogen und sie wieder aufzupacken, sich
beeilten; sie waren sehr bestürzt, als sie sich beobachtet sahen, denn sie
hätten den Fall gerne vertuscht, dann wären aber meine nicht entwickelten
Aufnahmen von diesem Sommer in dem unverlöteten Kistchen wohl
sämtlich verdorben; so aber konnte ich die nur ganz wenig feucht
gewordenen Schachteln noch abends trocknen. Ich begegnete mehrfach
Soldaten, meist Landstürmern oder ganz jungen' Burschen mit endlos
langen, dünnen, höchst altertümlichen Luntengewehren, Lanzen und
Schwertern, die zur Bewachung der Setschwan-Grenze geschickt wurden,
wo man wieder Verwicklungen befürchtete. Einige, waren unter einem
Offizier gerade mit dem Ausreißen von jungen Opiumpflanzen beschäftigt,
die ein Bauer ganz frech längs des großen Weges angebaut hatte.1 Bei
i Seither scheint der Opiumbau wieder gestattet zu sein; wenigstens bildet Kock
in The Nat. Geogr. Magazine, XLVI, S. 474, von seiner Reise im Jahre 1923 Opiumfelder
bei Lidjiang ab.
der Mittagsrast am Bache kamen meine Leute auf einmal mit Händen
voll Sand und riefen: „Djing do, Djing do!“ („massenhaft Gold!“), ich
mußte aber ihre Freude gleich enttäuschen mit der Erklärung, daß es
Glimmer sei, den der Bach aus dem weichen Granit herausgewaschen hatte.
Am nächsten Tage, vom 2350 m hohen Passe über Datiengai, eröffnete
sich in der klaren Herbstluft ein unermeßlicher Überblick über das Yünnan-
Hochland und nach Norden bis zu den Bergen von Dötschang und Yenyüen.
Von Tsodjio ab wird die Gegend eintönig, die Beckenausfüllung ist eine
ganz baumlose, steppenbedeckte Hochebene aus Konglomeraten, in die
einzelne Bachläufe scharf einschneiden. Hier fiel mir wieder die schon
öfter bemerkte flaumartige, lockere Wolle auf, welche die Horste der
Steppengräser in so dicken Ballen bedeckt, daß sie später von selbst auf
■den Erdboden herabrollt. Bei Ischaemum angustifolium ist sie weiß, bei
Pollinia phaeothrix dunkelbraun. Sie besteht nur aus den Haaren der
Blattscheiden und Blätter, die durch ihre Verkieselung so widerstandsfähig
sind, daß sie selbst mehrere Steppenbrände überdauern. Oft sind die
Rasen dieser und ähnlicher Steppengräser durch die breiten Ringe abgestorbener
Blattscheiden so fest, daß man mit dem Pflanzenstecher sie ■
kaum zerteilen oder die frischen, blühenden Teile aus diesem Panzer
herausgraben kann. Erst gegen Magai gibt es wieder einige Dörfer.
Der Dsolin-ho ■ wird in einem reichlich Wasser ziehenden Fährboote übersetzt,
das einige splitternackte Kerle watend einfach durch den Fluß
schieben.
Von Magai geht es, ohne Yüenmou zu berühren, hinauf auf das höhere
Bergland. Noch sind die Berge im Djientschang sichtbar und der wohl-
bekannte dreigipfelige Lungdschu-schan bei Huili scheint greifbar nahe.
Zwei Platten hätten genügt, um, von zwei Standpunkten aus, die ganze
Talschaft von Hwangdschou genau photogrammetrisch aufzunehmen, aber
leider hatte ich keine einzige mehr, auch die Trachycarpus, um die es
mir sehr zu tun gewesen wäre, hatte ich nicht mehr photographieren
können. Es gab starke Tagemärsche auf streckenweise wieder von Regen
fürchterlich zugerichteten Wegen, in denen die Tiere bis über die Knie
versinken und der Reiter über und über voll Schlamm wird. Da es vieler
Räuber geben soll, hatte ich immer zwei Soldaten, aber nur einmal, von
Wuding nach Tschebei, bemühten sich diese, vorgehend, mit geladenen
Gewehren in der Hand, neben dem Wege die Schlupfwinkel zu besehen,
sonst trotteten sie immer stumpfsinnig zwischen den Tieren mit. In F um in
hatte man einen vor dem Stadttor gehenkt, Weiber saßen herum im Grase
und unterhielten sich beim Tee; immer dieselben Eindrücke von den lieben
■Chinesen. Am 13. November zog ich dann wohlbehalten in Y ü n n a n fu
•ein. Die Polizei hätte noch gerne auf der Suche nach Opium meine