
weil — nach der Ansicht des recht naturkundigen Père Genestier —
durch die zahllos zur Entwicklung gekommenen Samen der Bambusse
wohlgenährte „Bergratten“ sich ins Ungemessene vermehrt und den Mais
vor der Reife zum großen Teile weggefressen hatten. Ich hatte hier einen
Rasttag vorgesehen und benützte ihn zur Vermessung einer Basis und
Triangulation des Talsystems. Um eine 300 m lange, einigermaßen ebene,
waldfreie Strecke zu finden und die ungefähr i y 2 km zur Kirche zu peilen,
mußte ich über eine Stunde lang durch eine tiefe Schlucht kriechen und
so wieder zurück und nachmittags noch oberhalb der Mission anstückeln,
um den Gomba-la mitzubekommen. Die Arbeit lohnte sich freilich, denn,
was die Karten bisher vom Ludsedjiang zeigen, ist sehr spärlich und
fehlerhaft. Zwei Baumkletterer beschäftigte ich mit dem Herabholen der
Früchte der mächtigen Manglietia insignis, die hier häufig ist und sich
von Magnolien wenig unterscheidet; sonst gehörte der außergewöhnlich
große Bübus lineatus mit langen, silberglänzend-seidigen Blättchen zur Ausbeute
dieses zweifelhaften Rasttages.
Am 27. verließ ich Bahan zür letzten Hochgebirgswanderung dieses Jahres,
dem Übergang über den Paß Si-la zurück an den Mekong. Steil steigt der Weg
über eine lange, im untëm Teile mit langblätterigen, silberig-grauen
Weiden (Salix Salwinensis, neu) bewachsene Wiese an, prächtige Ausblicke
bietend. Die hier grasenden Ponies benützten einige Träger ganz frech,
um sich ihnen an die Schweife zu hängen und sich den steilen Weg
hinaufziehen zu lassen, ganz unbekümmert darum, daß sie sie durch die
Einfriedung der Weide hinausbringen. Es sind die oft beschriebenen, äußerst
gedrungenen, hängebauchigen, langhaarigen Tibetponies, die ich hier das
einzige Mal sah, oder doch das einzige Mal so gut aussehend, daß man sie als
diese Rasse erkennen konnte. Die sehr schönen, großen Ponies in Dschung-
dien und Yungning gehören nicht mehr diesem Schlage an. Abends regnete
es wieder tüchtig, das Zeltaufschlagen am oberen Rande der Wiese ging
langsam vonstatten, denn mein Tibeterjünglirig war trotz allen Rufens
nicht dazu zu haben. Nachts fiel Reif und morgens fand man sich in
gepreßter S-Form in den verschiedenen Schlafgelegenheiten, und sogar die
Tibeter begannen zu husten. Steil durch einen Streifen Tannenwaldes steigt
der Weg weiter, die Träger keuchen auf dem rutschigen Boden, ihr
Obmann L itere voran, der jeden Ruck nach aufwärts mit einem Brummer
begleitet und dabei von W usoling spöttisch nachgemacht wird; D schaffa
trägt meinen Regenmantel, das heißt er hängt sich ihn um und verliert
mir dabei aus der Tasche den Hutüberzug aus Segeltuch, ein mesopotä-
misches Ausrüstungsstück, das unten den Tropenhut ersetzt. Der erste Paß,
N isse lak a , 4200 m, bot Gelegenheit zur Vervollständigung der Triangulation ;
vor uns lag, durch das hier dem Doyon-lumba gleichlaufende und unter Bahan
in dieses mündende Tal Saoa-lumba getrennt, angeschneit der schmale
Kamm der Mekong-Salwin-Hauptkette. Etwas abwärts an einem Moortümpel
aßen wir, ich sammelte viele'Moose und eine als Krummholz
wachsende Kirsche mit eingeschnittenen Blättern, die neue Cerasus cratae-
gifolia, deren recht einladend aussehende Früchte aber den Mund zusammenziehen.
Bald kamen die beiden Missionäre des Ludsedjiang auf ihrer Rückreise
von Mekong herauf, Pöre G e n e s t i e r aus Tjionatong, ein kleines
Männchen mit dem großen grauen Bart eines Rübezahl, als hoher Fünfziger
noch als der beste Fußgänger der Gegend bekannt, und der jüngere
P. O d v r a r d aus Bahan, dessen Gast ich wohl nicht ganz nach seinem
Willen gewesen war. Sie brachten mir Post, auch einen Brief aus der
Heimat und einige Dutzende inzwischen eingetroffener Trockenplatten, und
wir setzten uns zusammen und erzählten uns eine Zeitlang, bis beide Teile
wieder aufbrechen mußten. Die beiden sind wohl die abgeschiedensten
Europäer in der Welt. Durch viele Monate im Jahre decken ungeheure
Schneemassen die Pässe zum Mekong, die sie Bergfahrten kosten, um ihre
Plätze zu finden, und halten sie von der Welt abgeschnitten, denn zu den
fanatischen Tsarong-Tibetern, die sie aus ihrer ersten Niederlassung in
Bonga sehr bald vertrieben hatten, können sie ebensowenig wie flußabwärts
zu den unabhängigen Lissu gehen, und nach Westen wüßten sie
nicht genau, wohin sie kommen. Zweimal hatte Genestier an der Spitze
seiner getreuen Ludse, als deren eigentlicher Landesherr er bekannt ist,
mit der Waffe die Tibeter vertrieben, einmal war ihm die Mission in
Bahan niedergebrannt worden und mit ihr leider seine Sammlung von
1200 Pflanzen des Gebietes, von der sich aber mehrere, offenbar noch
unbestimmte Sätze in Paris befinden sollen. O uvrard spricht noch kein
Wort der Ludse-Sprache und ist so unglücldich, den Mais, die einzige Nahrung,
die er in seinem Lande selbst reichlich finden kann, nicht riechen
zu können; er und seine Mitbrüder am Mekong sammeln fleißig Schmetterlinge,
und dies ist das Schöne an den katholischen Missionären, daß so viele
sicher nicht nur zur Erhöhung ihrer geringen Bezüge, sondern auch aus
wirklichem Interesse und nicht ohne Kenntnisse für die Wissenschaft sammeln,
und nicht, wie — mit an den Fingern einer Hand abzuzählenden Ausnahmen
— ihre evangelischen Konkurrenten gänzlich in ihrer wenig erfolgreichen
Berufstätigkeit aufgehen. Man hat wieder steil hinabzusteigen
durch Dschungel zum Bache des S a o a -lum b a , wo in 3450 m Höhe die
Patres eine Hütte gebaut, die reisenden Einheimischen aber bald ihr Dach
verheizt hatten. Beim Einlegen der neuen Platten merkte ich zu meinem
Schrecken, daß die Größe nicht mit jener stimmte, die mir telegraphisch
mitgeteilt worden war und für die ich schon Einsätze in meine 9X12 cm
Kassetten gemacht hatte ; glücklicherweise waren sie zu groß und nicht zu