
ständig zu verraten. Mit Wut und Bangen näherten wir uns, im Kanal, die
Schwimmwesten umgebunden, alles im Meere Schwimmende, angeblich
einmal auch eine wirkliche Mine, umfahrend, R o tte rd am , wo wir am
16. Mai morgens ausgeschifft wurden. Und alles sollte noch viel schlimmer
sein, als jenes Blättchen erkennen ließ. Mußten die verblendeten Nachbarn
in solcher Weise das Rachebedürfnis von 100 Millionen Menschen auf sich
laden, statt die Völker zum Frieden zu führen?
Der freundliche Empfang durch die Holländer und die dortigen Deutschen,
der herzliche an der deutschen Grenze und in Wesel, unserem Zerstreuungslager,
wo wir spät abends desselben Tages anlangten, konnten uns nur
wenig über die bittere Enttäuschung hinweghelfen. Drei Tage lang blieben
wir dort, bis das Gepäck angekommen und von uns selbst weiterverladen
war. Für W eigold und mich waren es auch Tage naturwissenschaftlichen
Genusses, denn wir suchten unter* der lieben Führung des Apothekers
E. G a n s l o s e r und seiner Frau, die sich es auch nicht nehmen ließ, uns
reichlich zu bewirten, die Heide auf, die ich bisher nicht kannte. Und wenn
ich von den ersten größten Eindrücken der heimischen Natur nach meiner
fünijährigen Abwesenheit in China reden soll, so waren sie: die frische,
scharfe Luft, das helle, gleichmäßige Grün der jungbelaubtert Buchenwälder
und das traurige Grau unserer dürren, kurznadeligen Kiefern. Bummelzüge
brachten die österreichische Gruppe und die sieben Türken unserer Reisegesellschaft
nach München. Dort trennte ich mich von ihr. Acht Tage
lang dauerte es, bis ich über den Aufenthaltsort meiner Mutter sicher war
und die Einreisebewilligung nach Tirol erhalten hatte. Die Freundlichkeit
der Fachgenossen im Nymphenburger botanischen Garten ermöglichte es mir,
zunächst' die fünf Jahrgänge der österreichischen botanischen Zeitschrift mit
Heißhunger durchzugehen; sie beruhigten mich über den Fortgang des
wissenschaftlichen Lebens doch einigermaßen.
Am 80. Mai endlich konnte ich abreisen, am nächsten Morgen das
Inntal hinauf, dessen wohlvertraute Berge mir so klein vorkämen, daß ihnen
die untere Hälfte zu fehlen schien, und vormittags um halb elf Uhr hielt
ich in M a ie rh o fen im Zillertal meine Mutter umarmt, die teure, die sich
fünf Jahre lang gesorgt und geängstigt hatte, ohne Grund, denn, wäre ich
zu Hause geblieben, hätte sie mich sicher nicht mehr gehabt. Zarte Rücksicht,
zu zarte für einen sachlichen Naturforscher, hatte es mir verschwiegen,
daß auch so nicht viel dazu gefehlt hätte, denn so vieles hatte in dieser
furchtbaren Zeit ihr zartes Herz erschüttert, daß es mehrmals am Auslöschen
gewesen war, aber ihr in der Natur, zu deren Liebe sie mich
geführt, gestählter Organismus hatte sich immer wieder aufgerafft, wenn
auch nur eine um 20 Jahre zu alte Ruine übrigblieb. Und doch war es
ein Glück, sie wieder zu haben, nachdem ich, in Tschangscha acht Monate
lang ohne Nachricht, schon daran zu zweifeln begonnen hatte. Dann ging’s
am 5. Juni mit kurzem Aufenthalte in Linz nach Wien.
Es war genau Mitternacht von Pfingstsonntag. auf Montag, als ich in
meiner Wohnung einzog. Mein erster Gang war selbstverständlich nach der
Stätte meiner Wirksamkeit, ins Botanische Institut. Nicht so schlimm, wie
es uns die feindlichen Zeitungen glauben machen wollten, fand ich die
Stadt, und das Fehlen der Pickelhauben, aufdringlichen Uniformen und
rasselnden Säbel konnte mir nur gefallen. So traurig die Zustände auch
immer noch waren, ich habe mjch sehr rasch wieder hineingelebt; der
wirkliche Wiener hat sich doch nur wenig verändert. So fand ich auch
die Kollegen und meinen Vorstand, Hofrat W e t t s t e in , der sich unermüdlich
meiner Sache angenommen hatte und dessen Freude, mich glücklich zurückkehren
zu sehen, sich in mehr als der gebräuchlichen Begrüßung ausdrückte.
Ihm habe ich es zu verdanken, daß ich diese traurige, fruchtlose Zeit nutzbringend
verwerten konnte.
Die Chinesen aber haben einsehen gelernt, wer sie hereinfallen ließ und
wer es gut mit ihnen gemeint hatte, und so erklärte die Regierung in
Peking schon im Oktober 1919, deutsches und österreichisches bewegliches
Privateigentum auf Wunsch wieder herauszugeben. Seitens der Engländer
war dies mit jenem Teile meiner Sammlungen, den sie bei Kriegsausbruch
auf einem österreichischen Dampfer beschlagnahmt hatten, rasch geschehen,
aber General T angjuao, der Gouverneur von Yünnan, dachte anders. Er
wollte zu seinem Opiumschmuggel und seiner Banknotenfälscherei auch
noch aus meinen Pflanzen Silber machen, und so begann für mich eine
furchtbare, aufreibende Zeit der Unsicherheit und des Wartens, eine Seelenfolter,
gegen die die kleinen- Schwierigkeiten verschwinden, in denen mich
viele während der viereinhalb Jahre draußen unglücklich wähnten. Vieles
wurde inzwischen von F orrest, der mir viel später auf manchem meiner
Wege folgte, ebenfalls gesammelt und durch Veröffentlichung nach seinem
Material, das ungehindert nach England kam, vorweggenommen. Gegen
die Bemühungen der niederländischen Vertretung und die sehr energischen
des Missionärs Amu n d s e n hat die Yünnan-Regierung meine Sammlungen
bis in den Mai 1921 zurückgehalten und erst auf Einschreiten des deutschen
Konsuls D u B r a c k l o in Hankou herausgegeben; Herr R. S c h n a b e l streckte
die Seefracht vor und Dr. J. S t o n b o r o u g h beglich jene von Triest nach
Wien; als sie am 5. April 1922 in gutem Zustande in meine Hände kamen,
war es zu spät geworden, die Mutter noch damit zu erfreuen. Den Brief,
den ich dem Gouverneur schrieb, hat er sich nicht einrahmen lassen, wenn
man ihn ihm überhaupt richtig übersetzte.
Durch die Vermittlung meiner Freunde in Tschangscha war mein
Sammler W a n g - t e - h u i über Sommer 1920 in Pinghs iang im Westen