
gemeißelte Steinplatten von einem Obo mid die aus Lehm gekneteten,
gerieften Kegelchen, die mit Räucherkerzen in Felsklüfte zum Beschwören
der Berggeister gesteckt werden. Ich kam gerade zum Unterrichte der
j ungen Lamas herab; die eine Hälfte saß am Fuße einer Mauer, die
anderen standen vor ihnen, redeten auf die Schüler ein und klatschten
dazu immer mit den Händen.
Bald nachdem ich mit dem Lama den Weg nach Dschungdien ■ über
Oia besprochen hatte, kam Li wieder blaß und zitternd: „Herr, gehe nicht
über Oia, dort haben vor einigen Tagen 60 Konkaling-Räuber 100 Tragtiere
geraubt und einige Leute umgebracht.“ Das Räuberunwesen war
damals besonders schlimm, nachdem die 4000 Soldaten, die in Konkaling
imd Djiatschrin gelegen waren, mit den Leuten unbekanntem Papiergeld
bezahlt, desertiert waren und Dadjienlou und Yadschou eingenommen
hatten. Auch der große, von Hodjing ausgehende Karawanenweg zwischen
Muli und Dadjienlou war ganz gesperrt. Ich bin tibetischen Kaufleuten
begegnet, die erzählten, von Baorong auf Schleichwegen die Nächte hindurch
zurückgekehrt zu sein, und konnte leider aus diesem Grunde keinen
Ausflug von Muli nach Norden unternehmen. Was im einzelnen aber an
den Räubergeschichten erfunden war, kann ich nicht beurteilen. Chinesische
Diener sind groß in solchen Erfindungen, wenn sie selbst sich fürchten
oder zu faul sind, irgendwo hinzügehen, besonders in von „Mandse“ bewohntem
Lande. So oder „Yi-jen“ (Wilde) nennen sie alle Nichtchinesen,
auch für uns Europäer wrar das Wort sowie das „Yanggwaidse“ (fremder
Teufel) üblich, bis das Verbot erzwungen wurde. Von Kindern kann man
es heute noch nachgerufen bekommen, diese aber haben es natürlich
nicht selbst erfunden. Mir sagte später Herr Kok, nach ihm gegebenen
Auskünften hätte ich schon _nach Konkaling gehen können, gar so schlimm
sei es auch dort nicht. Das Tempeloberhaupt hatte inzwischen vollkommenes
Vertrauen gefaßt und lud mich selbst ein, zu photographieren,
und so gelang die Aufnahme des Inneren des großen Seidentempels, nicht
ohne daß ihn vorher ein junger Lama bei meiner Annäherung eiligst absperren
wollte. In Anbetracht dessen, daß noch der letzte weiße Besucher,
J ack, nicht über die Tempelschwelle gelassen worden war, war
dies ein schöner Erfolg. Ein Abstieg über den trockenen Hang zur Brücke
über den Litang-Fluß, den H s ia o -D jin g -h o der Chinesen, war weniger
ergiebig als mein Herweg an der nicht viel höher gelegenen Lehne des
Seitentales von Muli; es blühten niedrige, hellblaue Gesnerazeen (Didissandra
bullata und die größere Rhabdothamnopm Sinensis), Chlorophiytum oreogenes
mit kleinen weißen Lilienblüten, die neue Primula barybothrys mit dunkelroten
Blüten in Ähren, das unserem maximum ähnliche Sedum Engleri und
Vit ex Yünnanensis; die neue Quercus cocciferoides trug Früchte. Vielfach
verquetschter Tonschiefer ist das Gestein der Tiefe; er soll viel Gold führen,
auch zeigte man mir in Muli aus hier gebrochenem Talk geschnitzte Waren.
Die Brücke ist ein recht ansehnliches Bauwerk aus Balken, die, vom Ufer
aus so aufgeschichtet, daß die nächsthöhere Lage über die untere immer
ein Stück vörspringt, schließlich so nahe aneinander kommen, daß sie
hoch über dem Wasser verbunden werden können; mit einem Geländer,
das von einem hohen Joch - in der Mitte ausgeht, versehen, ist dies der
Typus der größeren tibetischen Brücken.
87. Tibetische Brücke unter Muli. L. eine wilde Aprikose (Prunus Mume ssp.
pallescens), vorne r. Sophora Franchetiana.
Nachdem ich eine Kiste mit trockener Ausbeute verlötet und einem
Kaufmann zur Beförderung nach Lidjiang übergeben hatte, verließ ich
Muli am 3. August mit einem neuen Zuwachs zur Karawane, einem
schnapsgetränkten Gewährsmann des Lamas. Den Soldaten, der gar keinen
Empfehlungsbrief für Dschungdien mitbekommen hatte, schickte ich nach
Yungning zurück, um dem Beamten zu sagen, er möge dies gefälligst in
geradem Wege nachholen; in Wirklichkeit war es mir ja gänzlich gleichgültig.
Da das Wetter besser war, hieß ich die Karawanenleute am
Dschungdien-Wege beim nächsten Wasser nach der Abzweigung mein
Lager aufschlagen und bestieg nochmals denselben Berg bis gegen den
Sattel Santante, leider wieder ohne Fernblicke aufnehmen zu können,
kam aber doch mit einer guten Ergänzung zu meiner Ausbeute und