
Heidefläche Ganhaidse am Fuße des Berges unter dem Gletscher nehmen,
um am nächsten Tage diesen selbst zu besuchen. Die Karawane war aber
über diesen Platz hinausgelaufen, das Zusammentreffen durch das viele
Hin und Her schon versäumt, das erste nicht schade, da es am nächsten
Tage ohnedies fast immer regnete. Das Zelt schlug ich also jenseits des
Beschui auf einem Wiesenflecke auf, wo unter einer Felswand auch eine
kleine tibetische Karawane lagerte. Es sollen, wie man später hörte, an
demselben Tage dort einer solchen von Räubern, desertierten Soldaten
natürlich, sieben Pferde samt den Lasten abgenommen worden sein. Der
nächste Tagemarsch führte nordöstlich des Yülung-schan herum, erst hinauf,
dann zum H e sc h u i („Schwarzwasser“) stark hinab, dann nach steilem
Aufstieg am Hange hin, mehrere Seitengrüben des genannten Baches oben
umgehend, endlich absteigend in das bei Ndaku in den Djinscha-djiang
mündende Talsystem. Oben führte der Weg oft durch schönen, triefenden
Wald und Dschungel, wo jetzt rtra/i'a-Bäumchen in Blüte stehen. Die
Wipfel der Tannen und Kiefern sind ganz rot von den Blüten des schmarotzenden
Loranthus caloreas, sonst sind die Bäume grau behängen mitBaum-
bart, Usnea longissima. Das Hsifan-Dorf Lukudsche ist — von einzelnen
Hütten am Heschui abgesehen — das erste seit Ngulukö. Von dort geht
es noch in der Höhe am Talhang weiter, schließlich führt ein Steilabstieg
in die dürre, von einzelnen als ganz kleine flache Buckel hervortretenden
Quarzgängen durchsetzten Konglomeratebene, auf der unweit des Flusses
Ndaku liegt.
Der Djinscha-djiang fließt zwischen nicht allzu hohen senkrechten
Wanden eines sehr feinen, gelben Konglomerates mit recht starkem Gefälle
dahin. Leider waren alle Gebirge bewölkt; nur abends hatte ich von
der Wohnung aus einen kurzen Blick auf Teile des großen Gletschers
gehabt, der vom Nordgipfel des Yülung-schan in ein Tal hinabzieht, das
zwischen zwei parallelen Ketten aus Felsbergen auf uns zukommt und,
einen Teil des Konglomeratbeckens durchschneidend, ober der Fähre in
den Strom mündet. Auch nur beim Abstieg sah ich die Einfassung der
großen Schlucht im Südwesten, nahezu senkrechte Felswände diesseits und
jenseits des Flusses. Die kleine Fähre ist beim jetzigen hohen Wasserstand
ein recht unsicheres Ding, der Preis des Übersetzens, 7 Cents für
die Person und 14 Cents für jedes Pferd und jede Ladung, aber sehr
hoch. Erst wird sie in einem leichten Gegenstrom rudernd aufwärts bewegt,
dann an vorspringender Felswand greifend, schließlich ist ein Seil
längs der Wand gespannt, das einer der Fährleute erreicht und so das
Boot noch1 ein gutes Stück aufwärts hangelt. Blitzschnell schießt es dann
abwärts, wird aber mit kräftigen Ruderschlägen dem ändern Ufer zugeführt,
wo es zwischen riesigen Felsblöcken landet. Die Lasten müssen dort ein
gutes Stück weit von den Leuten getragen und dazu von den Aufsetzsätteln
losgebunden werden; so dauerte das Übersetzen meiner Karawane
volle sechs Stunden. Es' gab aber dort allerhand schöne Xerophyten zu
sammeln, so die abscheulich nach Bifora stinkende Aristolochia Belavayt,
mehrere Asklepiadazeen, Abelia gracilenta in voller Blüte und andere
Bestandteile der größtenteils aus Buddlea caryopteridifolia, Caryopteris
Forrestii, Trailliaedoxa gracilis zusammengesetzten Tomillares-Formation
und die mohnähnliche Anemone glaucifolia, Ruellia drymophila, Cyperus
niveus, Phtheirospennum tenuisectum u. a. in der Steppe. Im nahegelegenen
Dorfe Sabe war mein hübsch aussehendes Holzhaus die ärgste Wanzenburg,
die mich je beherbergte. Ich zählte morgens bei 50 dieser weder im
Haushalte der Natur noch des Menschen nützlichen Haustiere in meinem
Schlafsack und den Decken, und da waren noch einige für den Abend
geblieben. Die Karawane schickte ich auf dem geraden Wege weiter, welcher
der dürren Steillehne des Djinscha-djiang entlang geht; ich ließ mich links
davon durch Kiefernwälder führen und erreichte so über das Dorf Yüno nachmittags
die Häuser von Haba, die auf einer geneigten Fläche zwischen
mehreren, von feuchten üppigen Gebüschen eingefaßten Ästen des Tjata-ho
zerstreut liegen.
Ich war mit dem Einlegen beschäftigt — unter anderm hatte ich die blattlose,
auf dem Schmarotzerstrauch Loranthus caloreas ihrerseits wieder
schmarotzende Phacellaria ferruginea gefunden —, da kam ein Mann in den
Hof, einen europäischen Riemen mit Taschen umgegürtet, und sprach
zuerst unten mit meinen Leuten; dann kam er zu mir herauf und zog einen
Brief heraus. Er war von Freund S chneider und brachte die furchtbare
Nachricht: „Erhalte eben Telegramm aus Yünnanfu, daß Österreich an
Serbien Krieg erklärte. Lage in Europa sehr ernst. Halten Sie Verbindung
mit mir aufrecht.“ Ja, es war mir schwül und unsicher zumute gewesen,
seit jenem Abend in Lidjiang, und jetzt war der furchtbare Schlag da für
den überzeugten Pazifisten, und mein Vaterland war es, das den Krieg
erklärt hat. Nein, sicher nicht mein schönes Land, nicht mein gutes Volk,
sondern nur verblendete Führer konnten es gewesen sein! Nach dem
Wortlaut der Vorschrift hatte ich noch keinen Grund, mich in meiner
Arbeit stören zu lassen, aber gestört war schon der Friede, die Freude an
der Erfüllung der Pflicht, dem Berufe treu zu bleiben so lange als irgend
möglich. Wer soll die Geistesruhe finden, zu sehen, zu suchen, zu beobachten,
uin sich nichts entgehen zu lassen, von Genießen gar nicht zu
reden, wenn die Gedanken an Massenmord und Verwüstung, Hunger und
Jammer, Ruin des wissenschaftlichen Lebens, fallende und verstümmelte
Kollegen, Freunde und Verwandte, bei Tag und Nacht das Gehirn foltern?
Zu den großen Sorgen kam kleiner Ärger: Der Petroleumvorrat war zum