
Das Tal ist ein richtiges Trogtal, über dem bewachsenen Grunde bilden
Steilwände seine Hänge, die oft in einer Flucht von dunklen, aber da und
dort von Regen und Schneeschmelzwässern hell glitzernden Felsplatten zu den
Gipfeln, besonders an der Südseite zum wohl 5000m hohen S c h a ts a k o n
hinaufziehen. Erst am 2. Juli wurden wir flott, das heißt, war der Bach, der in
ansehnlichen Wasserfällen über die Talwand herabkommt, durchschreitbar.
Gleadovia Buborum, ein ganz kurzstieliges, verzweigtes Sommerwurzgewächs,
das bisher nur im Nordwest-Himalaya gefunden worden war, sah als nestartiger
Büschel unter einem morschen Stamme hervor. Sonst war hier
die Ausbeute an Neuem noch nicht so reich, daß ich eine Traglast hätte
abstoßen können. Gegen Mittag mußte auch der Hauptbach überschritten
werden. Eine entwurzelte Fichte, die wir mittels einer rasch gefundenen
Latte verlängerten, überbrückt ihn ohnedies fast ganz. Dann ging es jenseits
am südlichen Hange hinan. Magnolia Tsarongensis von beinahe
krummholzartigem Wüchse mit großen, schmalen, unterseits braunfilzigen
Blättern hatte ihre schneeweißen, ausgebreiteten Blüten zwischen den
Rhododendron-Arten des Walduntergrundes geöffnet, ansehnlichen Bäumchen,
besonders dem Rh. ixeuticum, dessen unterseits filzige. Blätter
dem Walde auf große Strecken eine braune Färbung geben. Das große
Arisaema verrucosum mit warzig-zottigen Stengeln und Blattstielen wächst
darunter. Ein Seitenbach schoß durch eine Felskluft und war nirgends
durchwatbar. Eine junge Tanne wurde gefällt, zweigeteilt und an einer
schmalen Stelle darübergelegt, mein Seil als Geländer gespannt, und in
einer Viertelstunde hatten alle das andere Ufer erreicht. Dann kam eine
recht schlimme, nasse Kletterei im Absteigen wieder zum Hauptbache. Es
gab hier Blutegel, und da man sich Tritte und Griffe nicht aussuchen
konnte, wurden einige meiner Leute von ihnen angezapft. Wieder war
der Bach unüberschreitbar, so schlug ich für heute das Zelt auf recht
moorigem Grunde auf, sammelte die üppigen Lebermoose der Felsblöcke
und berechnete inzwischen, wie lange es wohl dauern würde, mit den
kleinen Hackmessern der Leute eine Tanne zu fällön, die über den Bach
reicht. Heute fiel der gefällte Baum auf einen Stamm, der längs im
Wasser lag, zerschellte und tauchte unter. Am Morgen nach einer Stunde
Arbeit lag die zweite Tanne als prächtige Brücke da. Das Seil als
Geländer, war sie rasch überschritten, und gleich nachdem wir uns über
gestürzte Stämme und durch Gekräute mit den hohen neuen Cathcartia
Smithiana und Corydalis pterygopetala durchgearbeitet hatten, sahen wir den
Bach ruhig und seicht, so daß man ihn dort gestern leicht, hätte durchwaten
können. Dann bildet er einen hübschen Wasserfall und daneben
steigen wir steiler an, ein Bächlein in der Dschungel als Weg benützend.
Unter einem Felsblock lag ein Mann, der im Winter hier erfroren war,
noch nicht ganz zum Skelett verfault, neben ihm sein Gepäck und an
seinem Kopfe sein Hund. Erfrierungsfälle kommen hier alljährlich vor
und noch häufiger treten sich Leute die messerscharfen Kanten schräg
abgehackter Bambusstengel in den Fuß und verbluten. Bald gab es an
einem weidenbewachsenen Lawinengang die ersten Hochgebirgspflanzen,
Primeln (P. Dickieana und Omphalogramma elegans), Orchidazeen (Pogonia
Yunnanensis und Pleione scopulorum), Edelweiß (Leontopodium Jacotianum),
winzige rosa Utricularia Salwinensis, das Vaccinium modestum mit langgestielten,
einzelnen, nickenden Blüten, Enzian und anderes, eine angenehme
Abwechslung. Die Südseite des Tales ist hier weniger steil,
seine Seitentälchen kommen zwischen sanften Waldbuckeln anscheinend
von ferne mit geringem Gefälle heran. An der letzten oder richtiger ersten
Gabel wird der nördliche Arm des Hauptbaches gequert und auf der Zunge
zwischen beiden endlich am achten Tage dieser wenig über 6 km täglich
betragenden Reise das letzte Lager diesseits der Scheidekette aufgeschlagen.
Kein ebenes Fleckchen, schief und krumm steht das Zelt da, auch nachdem
man bergseits den Boden weggehackt und abwärts diesen und Reisig
untergelegt hatte; dicke Wurzeln lassen sich nicht so schnell ganz entfernen
und so verbiegt sich das Feldbett immer mehr.
- Es regnete immer weiter, als ich endlich am 4. Juli den südlichen
Quellbach verfolgte, dem Passe zu. Ein wahrer Blumengarten ist das
Tälchen, Nomocharis aperta, Doronicum Altaicum und vieles uns schon
Bekannte drängt sich in bunter Menge über dem frischen Grün der
Riedgräser und Gräser um den Bach, der streckenweise den einzig
möglichen Weg bildet, Primula Agleniana mit großen Glocken von ganz
hellem Fleischrot und herrlichem Vanilledufte gedeiht ebenso massig
noch unter dem Kirschenkrummholz, hier der ebenfalls neuen Cerasus
Mugus, und Sorbus poteriifolia, dem Rhododendron Saluenense und dem
gelben Rh. chryseum. Düster ist es darüber, Nebel ziehen zwischen den
Glimmerschieferzinnen des Kammes hin, der mich noch vom Ziele meiner
kühnsten Träume trennt, und liegen über den Schneefeldern, denen entlang
es nun durch Risse und Kare hinaufgeht. An ihrem Rande blühen als erste
des Gebirgsfrühlings neue Corydalis polyphylla, Caltha scaposa, schöne
Läusekräuter und gewissermaßen eine Zwergform des Omphalogramma
Souliei, 0. minus, auf festem Rasen die ebenfalls neue kleine, glockenblütige
Primula Valentiniana in tiefstem Purpurrot und Rhododendron campylogy-
num, ein kriechender Zwergstrauch mit einzelner langgestielter, nickender,
nur „schwarz“ zu nennender Blüte, auf Felsblöcken aber entdeckte ich
für China in einigen kleinen Polstern die Diapensia Himalaica mit Blüten
von nur 8 mm Durchmesser. An der Westseite des nur 4075 m hohen,
aber doch schon merklich über der Baumgrenze gelegenen Passes