
Steigspur am nächsten Tage an der Südseite des Schidsaru durch den
Wald hinauf, üher seiner Grenze, die auf den Rundhöckern der Talseiten
verläuft, zieht sich wie überall in diesem Tale eine schmale Fläche hin,
ein langgestrecktes Kar, zwischen dessen Blöcken der kleine, aus den
Zentralalpen wohlbekannte Farn Cryptoyramme crispa wächst, und dann
geht es wieder steiler hinauf auf den Sattel G o n d o n ru n g u im scharfen
Felskamme, der das Talsystem des Doker-la von der Salwin-Schlucht trennt.
Er liegt 4475 m hoch und trägt wenige Pflanzen, aber beim Abstiege,
der zunächst über die Felsen und dann über Blockwerk und weichen
Schutt fuhrt, fand ich unter anderem die schöne Pedicularis insignis und
die herrlich nach Vanille duftende blaue neue Meconopsls Ouvrardiana.
Leider gab es keine Aussicht, solange ich auch bei der Mittagsrast an
der Baumgrenze des nach Westen kurz und steil zum Salwin führenden
Grabens darauf lauerte, sondern nur hie und da einen Durchblick auf die
dicht geschlossenen Baumkronen der dunklen Laubwälder in der Tiefe
diesseits und jenseits des ganz engen Salwin-Tales. Über blumenreiche
Matten geht es an der rechten Grabenseite hinaus, bis ein Lagerplatz gefunden
ist, der durch Weghacken von Riedgras, Fingerkraut- und Farnbülten
einigermaßen eben gestaltet werden kann, etwas unangenehm weit
vom Wasser. Auf dem Kamme Tongong selbst wird schließlich wieder
ein kleiner Steig gefunden, der, anfangs wenig und später sehr steil absteigend,
der Kante entlang 2200 m tief hinabführt. Unter 3000 m Höhe
wird die warmtemperierte Stufe erreicht, in der am steilen Hange ein
Sommerdorf der Ludse, Punka, liegt. Ich mußte hier einen Träger finden,
denn einer der meinigen war eben am Wege liegengeblieben und konnte
erst langsam mit schwer verstimmtem Magen nachkommen. Ein zweiter
größerer Seitenbach des Salwin kommt von Nordnordwest viel weniger
steil herab, unten, in einem kleinen Becken, fließen die beiden eine Strecke
nebeneinander, nur durch eine schmale Glimmerschieferkante getrennt.
Auf einer mit Mais bebauten alten Schotterbank über dem nördlichen
Bache liegen in 2025 m Höhe die zerstreuten HäüSer und die Mission von
T jio n a to n g , die ich nach weiteren 550 m Abstieg auf hartem, steilem,
den Füßen einigermaßen zusetzendem Wege am 8. August erreichte.
ARBEIT AM SALWIN; ZURÜCK NACH TSEKU
Entsendung der Sammler zum Gomba-la. — Die große Salwin-Schlucht. — Erneuerung
der Seilbrflcke. — Tschamutong. — Wilde Gerüchte. — Bückkehr der Sammler. — Über
den Si-la. — Ein Raubzug. — Hungersnot am Mekong. — Prellereien.
Ich konnte nicht finden, daß die Gegend von Tjionatong, wie man
erwarten könnte, schon einen Anklang ans dürre Tsarong zeige und viel
trockener als jene von Tschamutong sei, wenn dies auch für die Schotterbank
um den Bach zutrifft, auf der die zur Blütezeit blattlose groß-gelb-
blütige Amaryllidazee Lycoris aurea gedeiht. Père G e n e s t i e r verschaffte mir
Unterkunft in einem Ludse-Hause und wir tauschten Gastgeschenke nach
chinesischer Art, er gab mir frisches Fleisch und ich ihm Konserven, und
ich verbrachte, manche nette Stunde mit dem erfahrenen, naturkundigen und
in jeder Hinsicht sachlichen Manne beim nie fehlenden süßen spanischen
Meßwein. Aber das Beste, was er mir bieten konnte, waren elf Nummern
Frühjahrspflanzen, die ich aus seiner leider von Insekten stark beschädigten
Sammlung aussuchte. Seine Verdolmetschung nahm ich in Anspruch, um
L a o -L i und Ho den Auftrag zu geben, den mir immer noch fraglichen
Riesen-Nadelbaum und die Hochsommerflora der Salwin—Irrawadi-Scheide-
kette um den See und an den Hängen des G om b a -la darüber zu sammeln.
Es war den Leuten nicht zu verübeln, daß sie Schwierigkeiten machten;
derselbe Grund, der mich abhielt, selbst noch eine Hochgebirgswanderung
dorthin zu unternehmen, galt auch für sie. Wir hatten alle genug von diesen
Klettereien. Ho, der schon etwas mürrisch geworden war, erklärte, geradeaus
nach Lidjiang zurückzukehren, Li unter Tränen, dies mit mir zu tun,
aber nicht ohne den anderen mit den Tibetern und Ludse als Trägem
ins Gebirge zu gehen; der ausgesetzte Preis rührte beide nicht. „Dann
wird aber aus dem großen Trinkgeld nichts, denn dieses ist für wunschgemäße
Aufführung versprochen.“ „Auch als Bettler gehen wir lieber nach
Hause, als noch einmal da hinauf,“ konnte der mehrfache Hausbesitzer
Ho leicht sagen. Da blieb mir nichts übrig, als mich selbst an die Durchführung
meines Planes zu machen, von dem mich am meisten der trostlose
Zustand meiner Beschuhung. abhielt. Ich befahl dem Koch, alles dafür
vorzubereiten, und der treue Li erklärte, mich nicht zu verlassen. Aber
nun war wieder der Koch sehr betroffen, denn auch ihm waren unsere
gemeinsamen Gefühle keineswegs fremd, und er seinerseits wußte nun
Ho zu überreden, mit Li den ursprünglichen Auftrag durchzuführen, denn
er wollte sich den Weg und die Schwierigkeiten der am Salwin keineswegs
leichten Verpflegung ersparen. Am nächsten Tage zogen sie auch
wirklich los. Einige Dollars Draufgabe hatte ich ihnen für Blüten oder
Früchte des fraglichen Nadelbaumes versprochen.
Bei Tjionatong ragen auch diesseits des Flusses Felsen kristallinischen
Kalkes aus dem Walde, und nach W a r d bestehen weiter im Norden im
Tsarong im Doker-la-Tale große Strecken aus Kalkgestein. Auf der wag-
recliten Kante zwischen den beiden Bächen maß ich eine Basis und
besuchte, um dritte Azimute zu erhalten, am 12. August die Çcke am
Eingänge der großen Schlucht, durch die der Salwin aus Tibet kommt.
Von dort konnte ich nach Punkten einschneiden, die ich im Vorjahre von