
bewußtlos vom Pferde stürzen gemacht hätte. Unter dem Passe, am Fuße
klotziger, grottenreicher Kalkgipfel und eines kleinen Wasserfalles, zwischen
Tannenwäldern und Fingerkrautgebüschen in 3950 m Höhe schlug ich das
Zelt auf. Der Paß T sc h e s c h a liegt 150 m höher zwischen nord-südlich
streichenden kurzen Ketten, aus denen das ganze Gebirge besteht, das
aber durch von Nord und Süd einsetzende Erosion doch zu einer im
Großen west-östlich streichenden Kette herausgeschnitten ist. Der Abstieg
zunächst durch ein Hochtal ergab reiche botanische Ausbeute, die hohe
purpurne Saussurea longifolia, großen Aster Yunnanensis, C'odonopsis sub-
scaposa mit weißen, braun-violett gezeichneten Glockenblüten, die winzig-
blütige Campanula aristata. Im dunklen Tannen- und Rhododendron-
Walde streckt eine der großblütigsten Schlüsselblumen, die neue Primula
Muliensis mit unterseits weißen Blättern,^ ihre über 4 cm breiten Blüten
wagrecht dem Lichte entgegen. Über den sich verflachenden Rücken links
und dann steil durch Föhrenwälder hinab geht es ins Tal von Muli. Die
Lichtungen gestatten Aussicht nach Norden. Ein heller Steinhaufen am steilen
Talhange, so erkennt man Muli von ferne. In tiefer Verschneidung fließt der
Litang-Fluß rechts vorüber. Dräuende Felsklötze überragen sein Tal um
über 2000 m zu heiden Seiten. Weit hinauf kann man seinen Lauf erkennen
an den Verschneidungen der seitlichen Kämme, die ihn zu anscheinend
geringfügigen Windungen zwingen. Alle Gipfel aber verhängen
die tief streichenden Wolken. Noch ein Zeltlager unten im Tale zwischen
würziger Artemisia der Garide-Formalion des trockenen Talhanges über
dem üppigen Subtropenbuschwald der dumpfigen Bachschlucht, und nach
weiteren drei Stunden erreichen wir das Städtchen. Der Gewährsmann
kündigte mich an, so erwartete mich schon das Tempeloberhaupt, ein
feister Lama mit stechendem Blick, mit ranziger Butter geschminkt, dessen
rote Mönchskutte die rechte Schulter und den Arm unbedeckt läßt. Der
eigentliche Chef - wenn ich schon in den Jargon Lrs verfallen muß, bei
dem jeder, der andere unter sich hat, ein „chef“ ist — war gerade abwesend;
er war mit 200 Leuten ausgezogen, seine 300 Jak zu suchen,
die ihm Konkaling-Räuber auf einem Berge abgetrieben hatten. Ich wurde
in einem Hause etwas außerhalb des Ortes untergebracht. Ein chinesischer
Kaufmann hatte es gebaut, sein Geschäft ging aber nicht lange. Auf dem
Wege nach Dadjienlou wurde er ermordet, und seinen in Stücke geschnittenen
Leichnam soll man seiner Frau geschickt haben.
Muli ist im Viereck, aber ohne Umfassungsmauer1 gebaut. In 2800 m
Höhe, überragt von Wäldern mächtiger immergrüner Eichen und weiter
1 Mit der Verschlechterung der Verhältnisse in Ghiiia hat Muli seither eine Stadtmauer
erhalten (s. das Bild von ROCK in The Nation. - Geograph. Magazine, XLVII,
S. 466), ein Fall, der wohl einzig dasteht im 20. Jahrhundert.
von steilen Felswänden, blickt es weit hinaus' ins grüne Tal des Litang-
Flußes. Es sind feste Steinhäuser mit Schindeldächern, die kleinen Fenster
umgeben mit nach unten verbreiterten Rahmen, und ein kleines Gesimse
darüber hält den Regen ab. Zwei große Tempel, einer am unteren und
einer am oberen Rande, dienen dem Gottesdienst. Aber ein Kloster ist
die ganze Stadt, 700 bis 800 Lamas hausen hier, und auch die wenigen
Laien in ihren grauen Büßerkleidern passen recht in die Umgebung. Ich
war übrigens erstaunt, die Lamas, wie alle hier, rot und nicht, wie
man nach D avies meinen möchte, gelb zu finden. Nach R ock gehören
sie der gelben Sekte der reformierten tibetischen Kirche an, aber nur die
gelbe Mütze kennzeichnet sie; gewöhnlich gehen sie aber barhaupt. Frauen
gibt es nur einige in den umliegenden kleinen Bauernhöfen; sie kommen,
Eier, Gemüse, Holz und anderes zu verkaufen oder gegen Tee einzutauschen.
Tee als Tauschmittel für kleine Einkäufe mitzuführen, ist im
Gebirge unerläßlich, denn abseits der Handelsstraßen nehmen die Einheimischen
kein Kupfergeld mehr. Hier ist auch schon die gegen
40 Dollarcents werte Setschwan-Münze, welche die Europäer gerne
„Ruppie“ nennen, gangbar. Nur wenige Chinesen, Kaufleute aus Schanhsi,
hausen hier, und diese dürfen ihre Pfeifen nur im Zimmer rauchen,
ihren Mund nicht zu weit aufmachen, und verzichten auf die üblichen,
auf rotem Papier gedruckten, keineswegs der Verschönerung dienenden
Graßaufschriften an der Außenseite ihrer Häuser. Nur über dem Tore
der großen Lamase selbst hängt die Widmung des Tutschün von Dschöngdu
in großen chinesischen Buchstaben, der sie dem einheimischen Fürsten
als „Tussu“ für sein friedfertiges Benehmen belassen hat. Gegen Abend
steht das ganze Städtchen im Zeichen des Gottesdienstes. Tiefes Tuten
bedeutet den Anfang und sofort wimmelt es in den Straßen. Die roten
Gestalten eilen zum Tempel, aus dem nun Murmeln, Läuten und
Trommeln erschallt. Auch ganz hübsche Chorgesänge sind manchmal
zu hören, und, wenn sich die Mönche wieder zerstreut haben, so tönt
aus ihren Behausungen noch lange ihr lautes und unheimlich schnelles
Beten in den Nachthimmel. Es hört sich an wie immer wiederholtes
„Kätänatänötennöten“; was der Wortlaut eigentlich ist, komite ich nicht
herausbringen. Erst nach 9 Uhr tritt allmählich wieder Ruhe ein. In der
Hsifan-Sprache hier fielen mir besonders die scharfen, schnarrenden „r“
und Tonfälle wie die zweite Hälfte des bekannten , Lieber Vater, schick’
mir Geld!“ auf. Dem Tempeloberhaupt schenkte ich eine Uhr, die nur 2Vs $
gekostet hatte; mein Diener gab ihm ihren Wert mit 15 $ an. Mit dem Rufe
des Staunens „a-i“ hielt er sie ans Ohr und lauschte ihrem Ticken. Dann
brachte er mir eine alte Weckuhr, die nicht mehr ging; ob ich sie ihm
nicht wieder herrichten könne. Sie war verlötet und ließ sich nicht