
Die nächste größere Ortschaft, Schischi-se, war im Frühjahr von Räubern
heimgesucht und teilweise niedergebrannt worden. Größere Dörfer in
Hunan sind oft Bächen entlang erbaut, die Häuser ragen dann, von
Pfosten gestützt, über das Wasser. Seihst in Tschangscha findet man
noch diese Bauart. Weil sie schon bèi den Chinesen die Hauptsache
sind, stehen die notwendigen Häuschen über mächtigen offenen
hölzernen Tonnen an den Ortsausgängen, an jedem eine ganze Reihe,
so daß bei jeder Windrichtung für Geruch im Dorfe gesorgt ist. Die
Herbergszimmer sind meist ziemlich groß, sehr dunkel und daher kühl.
Obwohl die Hunanesen körperlich rein sind, auch die Kulis im
Sommer allabendlich ihren ganzen Körper heiß waschen, wozu große Holzbecken
zur Verfügung stehen, finden sie nichts Unsauberes darin, daß sie
in jedem Zimmer einen großen hölzernen Urineimer stehen haben, der
mindestens wochenlang nicht geleert wird. Ließ ich ihn hinausschaffen,
so wollte man ihn meist nur aus der Mitte des Zimmers in eine Ecke
stellen. Der nächste Reisetag (18. August) gab mir den schönsten Einblick
in die prachtvolle Wasserflora Hunans. Jeder Tümpel ist jetzt bunt. Wo
nicht die großen schildförmigen Blätter der Lotosblume (Nelumbo nucifera)
ihn beschatten, drängen sich zunächst die nicht viel kleineren, dunkel
rötlichgrünen, höckerigen und über und ü b e r, bestachelten der Nuryale
ferox, einer Teichrose, die ihre karminroten, in den stacheligen Kelchen
nur wenig geöffneten Blüten dazwischen kaum über den Wasserspiegel
streckt. Eine weißblütige kleine Wassernuß {Trap a Maximowiczii) und die
ähnliche, aber zu den Pedaliazeen gehörige Trapella Chinensis, die ansehnliche,
schön rosa Blüten auf dünnen Stielen emporhebt, sind sehr
häufig, dottergelbe Nymphoides (Limnanthemum) pettata und Utricularia-
Arten, weiße Hydrocharis morsus-ranae und Elodea ebenfalls; die große
Jussiaea repens trägt an langen schwimmenden Stengeln ihre ansehnlichen
gelben Blüten reihenweise zwischen Büscheln weißer Atem-
wurzeln. Selten und erst in der Gegend von Tschangscha finden sich
Nuphar Sinense (neu) und Castalia tetragona (kleine gelbe und weiße Teichrosen)
und die zierliche ! weiße Nymphoides Indica. Die uns schon aus den
Reisfeldern Yünnans bekannten Wasserpflanzen, wie Azolla pinnata, fehlen
auch hier nicht. Nachmittags traf ich in der großen Stadt Y u n g d sch o u
ein, für die man den alten Namen Lingling wieder eingeführt hatte.
Ich wollte hier Rast machen und den jetzt trockenen Teil meiner
Sammlungen abschieben. In Hsinning, während meiner Abwesenheit
bei den 'Missionären, wollten mich der Beamte und der Militärbefehlshaber
besuchen; sie sagten, ich sei von Peking besonders empfohlen.
Hier aber wunderte ich mich, keine Nachricht des Gesandten zu finden, und
witterte Unrat, als die Telegraphenbeamten die Annahme einer Depesche
von einem Deutschen oder Österreicher ablehnten. Ich ließ aber nichts
merken und traf die Vorbereitungen zur weiteren Reise, die zunächst
nach Dschöndschou gehen sollte. Ein heftiger Malariaanfall zwang mich,
meinen Aufenthalt zu verlängern, als eines Tages ein Magistratsbeamter
kam und mir ohne jede Begründung erklärte, ich müsse schleunigst nach
Tschangscha abreisen. Ich war mir wohl schon darüber klar, worum es sich
handelt, erklärte aber unwillig, daß er mich ohne Grund nicht schicken
könne, wohin er wolle. Weitere Nachfrage ergab aber die Gewißheit, daß
China am 14. an Deutschland und Österreich Krieg erklärt hatte. China?
Nein, der Ministerpräsident und ein ganz kleiner Anhang, nach gewaltsamer
Auflösung des gänzlich dagegen gestimmten Parlamentes! Niemand
handelte richtiger als unser Gesandter, der dem Präsidenten die Gesetzwidrigkeit
vorhielt mit dem Bemerken, das sei die Kriegserklärung einer
Partei und nicht eines Volkes und müsse nach dem Gesetze durchs
Parlament bestätigt werden.. Oh, hätte man bei uns zu Hause solchen
Grundsätzen gefolgt, die Welt wäre heute glücklicher!
So verließ ich denn am 23. August nachmittags mit einer Bedeckung
von acht Soldaten die Stadt, die kaum eine Woche später wegen der
Parlamentsentlassung durch die Pekinger Militaristen der Ausgangspunkt
eines neuen Bürgerkrieges werden sollte, der in über dreieinhalb Jahren
ungeahntes Unheil über die reiche Provinz Hunan brachte. Ich folgte dem
großen Wege nach Höngdschou. Im ersten Übernachtungsort setzte man
mir hier gekauften Tee vor, den ich als verdächtig nach Blausäure
riechend ablehnte. Die Chinesen sind Meister im Vergiften; ich will nicht
behaupten, daß es ein versuchter Anschlag war, aber ich hätte ‘meinem
Karawanenführer zum Beispiel allerhand zugetraut, wenn man mich
vielleicht jetzt für vogelfrei hielt. Die Gegend wird flacher und eintöniger;
rechts in der Ferne sieht man die Bergketten, deren Besuch mein nun
vereitelter Plan war. Unterhalb Dsiyang wird die ungefähr 300 m hohe
bambusbestandene Kette Hsiungbe-ling überschritten. Am dritten Abend
erzählte mein Unteroffizier, zehn Li weiter wohne ein deutscher Missionär,
der schon vor acht Tagen von ihm (!) den Befehl bekommen habe,, nach
Tschangscha abzureisen, morgen müsse er auch mit. Ich ritt morgens
voraus, .traf diesen, Herrn R i e d e l mit Frau, im Dorfe Hwangdupu und
nahm die freundliche Einladung, den Tag' bei ihnen zu verbringen, trotz
des elenden Hauses, das sie bewohnten, gerne an, denn ich fühlte mich-
in der unverminderten Hitze noch nicht recht wohl und ließ den Unteroffizier
um so lieber über den Aufenthalt brummen, als seine Erzählung
sich als glatt erlogen erwies. Am 27. langte ich dann durch die zum
zweitenmal im Jahre fruchttragenden Reisfelder in der großen Stadt
H ö n g d sc h o u an.