
wenn dies so fortgeht, wird dieser kräftige Volksstamm die schwachen
Lndse früher oder später verdrängt, vernichtet oder aufgesaugt haben.
Der Dorfälteste und seine Getreuesten waren alsbald wieder von hier entflohen,
nachdem sie im vorigen Jahre auf dem Wege nach Londjre vier
Tibeter ermordet und ausgeraubt hatten. Eine federnde Bambusmatte
bildet hier den Fußboden des einzigen, niedrigen Raumes ihrer Häuser.
Ich tauschte von ihnen Erdäpfel gegen Salz ein. In dem von der Rodung
verschonten Waldrest am Wege blühte das abenteuerliche Arisaema
109. Fähre über den Salwin bei Tjionra.
speciosutn, dessen Kolben in einen meterlangen, über das Blatt gelegten
Faden ausgezogen ist, und auf morschen Stämmen kriechend der neue
gelbe Lysionotus sulphureus. T jio n ra diesseits und T jio n ts o n jenseits
des L u -d jia n g (Salwin) sind durch eine Fähre verbunden. Zwei Einbäume,
je vier Menschen und vier Lasten fassend und von zwei Ruderern
bewegt, so schmal, daß man sich mit den Ellbogen an den beiden Rändern
auflehnen kann, besorgten das Übersetzen meiner Karawane. Der Fluß
hat beinahe seinen höchsten Stand erreicht, tiefbraun wirbeln seine Wasser
und machen in der Mitte die Boote gewaltig schwanken. Erst kürzlich
war wieder einmal eines von den Fluten fortgerissen worden. Alles ist
grün. Sandbänke besiedeln Ausläufer treibende Gräser, und die Uferfelsen
bis zur Hochstandsmarke sind von hellgrünen Lebermoosen (Marchantía
cuneiloba) und Frauenhaar (Adiantum Capillus-Veneris) überzogen. Ein
Haus in Tjiontson bietet gute Unterkunft. Steinmauern mit Holzfachwerk
oder bloßer Holzbau, ein sanft geneigtes Giebeldach darüber, lassen die
Ludse-Häuser hier nicht unansehnlich erscheinen.
Bei Tjiontson mündet ein bedeutendes Seitental von Westsüdwest,
das die Tibeter T jio n ts o n - lum b ä nennen. Durch dieses führt mein
Weg zum Djiou-djiang. Zunächst steigt man steil am trockenen Hange
nebenan 700 m hinauf zu einem Sommerdorf der Ludse, Hsiolamenkou,
wo sich gerade viele Leute aufhielten. Es liegt auf einer flachen Schulter,
einem der wenigen ebenen Plätze in der Talschaft. Ich erstand hier einige
der kleinen Musikinstrumente, die bei allen einheimischen Völkerschaften
gleich sind, drei geschnitzte Bambusplättchen in zierlichen, geschnitzten
und bemalten Bambusfutteralen. Mein Diener entdeckte entrüstet eine Opiummohnpflanze.
„Na ja, eine,“ sagte ich wegwerfend. „Aber es sind drei
Früchte daran!“. Der Beamte in Tschamutong selbst war es, der für
seinen Bedarf die Einheimischen Opium anpflanzen ließ. Als dann einmal
ein Opiumkommissär kam, ließ er sie natürlich im Stich und strafen. Ein
Seitengraben mit viel wildem Nußbaum wurde gequert und in einem
leeren Hause' (Lussu) genächtigt. Gegenüber in Höhlungen einer Marmorwand,
die an der ganzen Tallehne bald als Bastion, bald als schmaler,
senkrecht gestellter Grat hinzieht, sollen wilde Bienen hausen. Das von
ihnen gewonnene Wachs gehört zu den recht geringen Steuern, welche
die Ludse dem Nahsi-Tussu von Yedsche zu zahlen haben. Bisher war
der Weg leidlich. Am nächsten Tage bog er um die Ecke an den Steilhang
des Tales, eine Spur aus Tritten von kaum halber Breite des Fußes,
der zu folgen Schwindelfreiheit, vollkommene Trittsicherheit und beim
fortwährenden Regen auf dem rutschigen, von Adlerfam und hohem
Gekräute überdeckten Lehmboden größte Vorsicht erfordert. Die Einlieir
mischen mit ihren Lasten von 40 kg gehen bloßfüßig^äußerst sicher, auch
mein Diener bequemte sich lieber dazu.
Nach einigen starken Abstiegen erreicht man die Taltiefe mit ihren
triefenden Mischwäldern vom selben Aussehen wie im Doyon-lumba. Hier
gibt es viele am Steilhange gestürzte Stämme zu ' überklettern; in die
Achseln der Zweige oder in künstliche kleine Einschnitte gelegte, mit
winzigen Kerben versehene Stangen erleichtern diese Arbeit. Auch Kletterei
über steilstufige, meist wassertriefende Felsabsätze ist häufig; durch alte
Bergstürze aus ganz Überwachsenen, hausgroßen Blöcken eines äußerst
groben Granites balanziert man längs der Steinkanten oder auf gefallenen
Stämmen zwischen schwarz gähnenden Löchern. An manchen Stellen gibt
es fast senkrecht aufgestellte Steigbäume mit winzigen Stüfchen, für
Bergschuhe nicht gerade am sichersten zu benützen. Abrutschen darf
man nicht, sonst liegt man meist sehr tief und ungleichmäßig hart unten.