
Ersuchen gab uns der Lissu-Dorfvorstand zwölf seiner Leute mit Schwertern,
Armbrüsten und Giftpfeilen als Bedeckung mit, so daß wir mindestens
ebenso stark waren wie die Räuber und mit einer Bewaffnung, die ihnen
sicher mehr Achtung einflößte, als die Gewehre der Soldaten. Außer
einigen verstreuten Körben und Papierfetzen jenseits des Passes bei Basulo
bekamen wir auch nichts zu sehen. Besonders lehrreich ist der Blick vom
nächsten Sattel aus. Das Land ist ohne Großartigkeit sehr anmutig, runde,
sanfte Rücken- und Bergformen, Grün in Grün, Wälder, besonders Kiefern,
aber auch Tannen und Fichten, und Wiesen, soweit man sieht, an den
Bächen oft Pterocarya Forrestn und eine Ulme bezeichnend. Die geradlinige
Furche von noch vier Sätteln setzt sich vor uns weit hinaus fort in der
ebenso schmalen, genau in ihrer Richtung liegenden Ebene Lantschou-ba
an dem wieder gegen uns kommenden Unken Aste des Flusses. Noch etwas
erfreute mich an dieser Stelle. Im faulenden Laube des Mischwaldes fand
ich zunächst zum ersten Male die schlanke, graubraune, bisher nur aus
Indien bekannte Neottia listeroides in ansehnhcher Menge, zwischen ihr aber
wenige Exemplare einer anderen saprophytischen, blattlosen Orchidee,
des rosaviolett überlaufenen Epipogium aphyllum, das mich um so mehr
anheimelte, als ich es aus China noch nicht bekannt wußte und mir als
14jährigem Jungen seine Auffindung an einem neuen Standorte in Tirol
die erste große botanische Jugendfreude war.. Lissu-Dörfer hegen da
und dort, und beim Abstiege erreichten wir ein großes Hsifan-Dorf,
Y issu tsa , in dem die Chinesen einen Pohzeiposten unterhalten und
ich, nicht deshalb, sondern, weil der weitere Weg unverdächtig war, meine
Lissu-Garde entheß. »Die stämmigen Hsifan in ihren einfachen, hier
meist ziemhch ordentUchen Kleidern aus grauem Hanf sind vielleicht die
ansehnhchsten Gestalten imter den Völkern von Yünnan. Die Bauart, auch
die der Iissu, ist hier durchaus dieselbe wie bei den Nahsi. In der
Erinnerung an das Honigbutterbrot, das ich im vorigen Jahre von Weihsi
ab genossen hatte, hatte ich den Diener beauftragt, in dieser Gegend nach
Honig zu fragen; Butter hatte icR von Tseku mit. Hier berichtete er mir
nun: „Hier gibt es Honig, aber der sieht so sonderbar aus, den werde
ich Dir erst zeigen, ob Du ihn essen kannst“, und .dann war es der
reinste, klare, goldgelbe Bienenhonig, frisch aus den Waben, wie ich ihn
kaum in der Heimat je so schön gesehen hatte, er aber hatte ihn kaum
erkannt, denn er hatte bisher nur immer den von den Chinesen mit
schlechtem Zucker verpantschten, trüben, gegorenen gesehen. Im nächsten
Dorfe, Djinkou, war die ganze Schuljugend mit ihren ziegelroten, militärähnlichen
Mützen in einer Reihe am Wege "aufmarschiert und machte mir
auf Kommando dhs Lehrers eine tiefe Verbeugung, während ich mit
der Rechten gnädig an den Hut fuhr und mit der Linken ein großes
Loch im Rock zuhielt. Der Lehrer lief mir dann noch nach, um ein Gespräch
anzuknüpfen, was ich im Vorbeigehen für ziemlich überflüssig
■gehalten hatte. Bald darauf erblickt man links eine ansehnliche Berg-
giuppe, den L o tu e -s c h a n , Labako oder Tapiso in der Hsifan-Sprache;
von den Chinesen soll er auch Laba-schan genannt werden. Von höheren
Punkten um Lidjiang hatte ich ihn schon öfter gesehen, aber seine Lage
war mir noch nicht, ganz klar geworden. Er besteht aus dunklem, scharf
gebändertem Sandstein, sein Hauptgipfel ist ein steiler Block von ungefähr
4300 m Höhe und beinahe horizontaler Lagerung, und um ihn herum
liegen noch einige andere abgesunkene Klötze mit verschieden geneigten
Schichten auf einem hohen, breiten Rücken. Zur Linken sieht man durch
jedes der Täler, daß es in eine nord-südlich verlaufende, in der Richtung
meiner Reise immer ferner vom Wege liegende Furche mündet, die
durch die laubwaldbedeckte, schon früher erwähnte Kette vom Mekong
getrennt, mit ihm zweifellos parallel verläuft. Ich habe diese Bergkette nie
im Zusammenhang© gesehen, aber doch immer wieder solche Teile davon,
daß sie mir beim Aufträgen der Karte in Zusammenhang kommen und
kein Durchbruchstal gegen den Mekong zu erkennen lassen, so daß ich
zu dem Schlüsse kam, das Längstal müsse jenes sein, das bei Yingpangai
in den Mekong mündet, trotz einer Auskunft, die ich später in Schadien
erhielt, der dortige Fluß, der ganz klar zum selben Talsysteme gehört,
münde im Norden bei Hsiaodien, also in der Breite von Mugwadso.
Wenn man die Leichtfertigkeit der Chinesen in solchen Auskünften kennt,
so lernt man den eigenen Augen mehr trauen als ihnen; aber es gibt in
Yünnan Verschneidungen und Flußdurchbrüche, die einem von' ferne entgehen,
und deshalb will ich das oben dargelegte Ergebnis keineswegs
schon als ganz sicher hiustellen. Jedenfalls aber ist die Aufnahme des
Weges von Weihsi bis Djientschwan und seiner weiteren Umgebung einer
der bedeutendsten geographischen Erfolge meiner Chinareise, denn es war
zwischen Mekong und Yangdse—Yangpi-djiang in dem breiten Gürtel zwischen
Weihsi und Dali noch gar keine befriedigende' Aufnahme gemacht worden.
Vom letzten, 2850 m hohen Sattel zwischen Daidsedien und S c h a d ie n
überblickt man nun das L a n ts c h o u -b a selbst. Es ist eine wenig über 1 km
breite, wiesenbedeckte Ebene, durch die sich das Flüßchen schlängelt. Die.
Berghänge steigen zunächst nicht hoch, recht sanft und nur da und dort
in kleinen gerundeten Steilabsätzen daraus an. An ihrem Fuße kann man
mehrere Dörfer erkennen und mitten in der Ebene, dort, wo sie sich zum
Horizonte zu verkürzen beginnt, die weißglänzenden Mauern des ansehnlichen
Dungdien. Links schieben sich zwei auffallende Ecken zu einem
Doppelgipfelchen zusammen, rechts sieht man über einen hohen, breiten
Waldkamm als flache, kahle Pyramide den Gipfel des wohl 4000 m