
Forrestii hatte seine blaßblauen, papierartigen, netzaderigen Blüten unter Eisköpfchen
wohl erhalten, ebenso tiefblaue Gentianen und Lomatogonien und
etwas tiefer unten das azurblaue Allium Beesianum. Ich verbrachte einen
gemütlichen Abend in dem geheizten Zelte mit den Amerikanern, mit denen
ich. 1918, als sie für eine Mongolei-Expedition nochmals nach China kamen,
von Hunan aus trotz des Kriegszustandes wieder in freundschaftlichen
Briefwechsel trat, und stieg erst spät bei Latemenschein wieder ins Dorf
hinab.
Am 16. Oktober ließ ich die für einen kleinen Ausflug nötigen Sachen
auf drei Tragtiere verpacken. Der Koch fand natürlich, zwei Tiere würden genügen,
aber nachdem er mit seinen Versuchen, zwei Lasten zurechtzumachen,
den Aufbruch glücklich um eine Stunde verzögert hatte, sah er endlich
ein, daß ich doch Recht hatte. Ich ging zur Kartierung der Durchbruchsschlucht
des Djinscha-djiang nach Westen über den Paß von Ganhaidse
nach Yulo. Das Polizeihaus auf dem Passe, das erst -im Vorjahr aus
Geldern der für die Sicherheit des Weges interessierten Kaufleute errichtet
worden war, zerfiel schon wieder; um den Räubern das Verstecken zu
erschweren, hatte man aber den Weg entlang einen Waldstreifen gerodet.
Von Yulo machte ich einen Halbtagsausflug zu Fuß hinauf zu einem
Aussichtspunkte vor dem Buge der großen Schlucht an der Leime der
hohen Waldkuppe Lamidyi, die dem Hauptkamme des Yülung-schan hier
vorgelagert ist. Von einer kleinen Kante öffnete sich mit einem Schlage
der Blick durch die Enge bis zum Becken von Ndaku, großartig durch
die Ausmaße, prächtig auch in der Farbenwirkung. Rechts eine einheitliche
graue Felsmauer mit einigen beschneiten Ecken, die zusammengeschobene,
verkürzte westliche Zackenkette Atsak o im Nordteil der
Lidjiang-Kette, links ein dürrer, gelber Steilhang,' der zur Kante des
T ja ta - s c h a n hinaufführt; sein wohl über 5300 m hoher Gipfel, gerade
in der Richtung der Kante gelegen, ist durch deren vorderen Teil verdeckt
und schiebt sich erst bei höherem Ansteigen am Hange langsam hervor.
Tief unten glänzen weiß die Stromschnellen herauf, die der Fluß, in
senkrechtwandigen Klammen verschwindend, bildet. Die dürren Föhren
verstellen Teile der Aussicht, so muß ich hin und her laufen, um einen
Aufnahmspunkt zu finden. Wir bemühten uns vergeblich, eine zur Hälfte
durchgehackte und daher verdorrte, die im Wege stand, umzuwerfen, ein
anderer Ausblick war nicht so tadellos, konnte aber durch Abbrechen des
Wipfels einer jungen Eiche verbessert werden. Auf dem Rückwege besuchte
ich Labadse, ein Dörfchen der Tschundjia, aus Guidschou eingewanderter,
hier degenerierter Leute. Sie wohnen in niedrigen Erdhäusem mit Schindeldächern;
die stets schwarz gekleideten Männer waren auf den Feldern,
die Weiber boten mir freundlich Kautabak an.
Nachmittags benützte ich die Fähre und ritt bis Tjiaotou am Beginne
des Tales von Hsiao-Dschungdien. Ladsagu liegt etwas erhöht dem Eingänge
der Schlucht gegenüber. Fast stillstehend zwängen sich die Wasser
gerade auf den Abfall des Dyinaloko zu. Nur locker bebuschte, gelbe und
graue Steilhänge der Subtropenstufe in der Tiefe, darüber die rote Steppe,
von hellgrünen Föhren gepunktet in der warmtemperierten, anschließend
in bunter Herbstfärbung die gemäßigten Mischwälder und die subalnihen
schwarzgrünen Tannenwälder, dann, hier sicher sehr kahl, grau und windgefegt,
die Hochgebirgsstufe und darüber die schneegekrönten Zinnen
geben ein prächtiges Farbenbild. Der Gipfel Dyinaloko war gerade frei,
so stellte ich rasch den Apparat auf, da verhüllte er eiligst wieder wie
eine mohammedanische Frau, sein Schneehaupt und kam während der
halben Stunde, die ich wartete, nicht mehr heraus. Es war mein eigenartiges
Mißgeschick, daß ich, so oft ich auch hier vorbeikam, diesen Blick
nie vollständig aufnehmen konnte. Der nächste Tag war einer Fußwanderung
in die Schlucht selbst gewidmet auf jenem Wege, den ich im
Voijahre irrtümlich zu nehmen begonnen hatte. Die Xerophyten der Subtropenstufe
haben jetzt in der Regenzeit ihre Blätter breit entfaltet,
Nouelia insignis bildet ganze Haine, die ich in diesem Entwicklungszustand
gar nicht gleich erkannte, auch die knorrige Bandia Lichtangensis ist
dunkelgrün beblättert. Unter den Kräutern täuschte das neue Aconitum corio-
fhyllum einen heimischen Bekannten, den Wolfs-Eisenhut, vor. Nach zwei
Stunden erreicht man ein Dorf, Loyü, dann geht es im Zickzack hinauf, um eine
steile Felskante zu umgehen, die zum Buge des Flusses hinabzieht. Wie man
sie überschreitet, dringt das Donnern des Wassers auf mehr als 800 m senkrechter
Entfernung ans Ohr, denn an dieser Seite bildet der Fluß sofort
eine gewaltige Schnelle, die man schon einen Katarakt nennen muß;
zwischen den Pfeilern einer harten Gesteinsschicht, eines nord-südlich aufrecht
gestellten Kalkbandes zwischen dem Phyllit, werden nämlich seine Wasser
zusammengepreßt zu einem Schwall, der in einem deutlichen Bogen eine
von oben nicht abschätzbare Anzahl von Metern tief hinabstürzt. Von da
abwärts erscheint der Fluß überall weiß vom Schaum, eine Schnelle an
der anderen in der 1 iefe senkrecht eingeschnittener, gelbwandiger Klammen.
Diese Schlucht spaltet die Lidjiang-Kette, zu der der Yülung-schan mit
den Gipfeln Onlüpe, Satseto' und Djinaloko und der Tjata-schan gehört
und die schräg zürn geologischen Streichen zieht, in zwei Teile. Der Weg
führt um ein Drittel der Höhe hinab. Ich suchte eine Stelle, um den
Hang mit dein Katarakt in der Tiefe und den Schneegipfeln in der Höhe
aufzunehmen. Eine schaurig steile, mit felsdurchsetztem Urwald erfüllte
Schlucht führt hinauf zu den Schutthalden, aus denen unabsehbar hohe
Felswände aufragen, gekrönt vom Schneedreieck des Gipfels Djinaloko.