
Das Mönchswesen, Glocken, Musik und Gesänge, Weihrauch, Rosenkranzleiern,
Einsegnen, Teufelaustreiben und dergleichen sind beiden gemeinsam.
Kruzifixe, Statuen und Inschriften der einen sind nichts anderes als die
Götterstatuen, Gebetsteine und -fahnen der ändern. Man mag ihrer Ansicht
sein oder nicht, man muß es den Missionären lassen, daß sie ganze
Männer sind, die für ihre Sache den mächtigen Lamas ihre Leute abtrünnig
machen, dadurch, allerdings unter dem Schutze des Staates, auch ihrem
weltlichen Einfluß entziehen und, wenn sie dies, wie so oft, mit dem Tode
büßen, sofort durch freudig an ihre Stelle tretende Nachfolger ersetzt
werden. Sie erniedrigen sich zu dem Schmutze ihrer Leute, statt diesen die
Grundbegriffe menschenwürdigen Daseins beizubringen. In Tsedjrong und
Tseku gibt es wenige reine Tibeter; Chinesen-Tibeter- und Tibeter-Nahsi-
Mischrassen herrschen vor, auch einige Setschwan-Chinesen sind dort ansässig,
Abkömmlinge vor langem hier angesiedelter Soldatenfamilien. Die
Umgangssprache aber ist Tibetisch. Die Bevölkerung soll recht diebisch
sein, mir ist aber nicht das Geringste während mehrmaliger Aufenthalte
abhanden gekommen. Das Klima ist nicht gesund, Malaria kommt vor,
auch vor Ansteckung muß man sich sehr in acht nehmen, denn es gibt
viele Aussätzige. Wenn man vermeidet, in deren Häusern zu kaufen und sie
nicht in sein Haus kommen läßt, hat man weiter nichts zu fürchten. Nahsi
sollen am Mekong aufwärts noch bis Yerkalo in eigenen Dörfern neben
den tibetischen leben, Patong am Hange talabwärts von Tseku aber von
reinrassigen Tibetern bewohnt sein.
Père V a l e n t in verschaffte mir bereitwilligst die nötigen zwölf Träger
zur Reise auf den Doker-la und an den Ludse-djiang. Es war ja meine
erste Absicht, F o rr ests Arbeit auf dem heiligen Wallfahrtsberge zu wiederholen,
denn ihrer Ergebnisse, von denen er sehr schwärmte, hatte ihn der
Lamaüberfall beraubt. Alles Überflüssige, wie Feldtisch und Stuhl, Petroleumlampe
und anderes ließ ich zurück. L ao-l i hatte sich einen Prinsepia-Dom
durch die Strohsandale hindurch in die Ferse getreten, die Blutung mit
Salz gestillt und mir erst Mitteilung gemacht, als die Infektion schon ganz
furchtbar wirkte. Der ganze Fuß war entzündet und eine schwarze, jauche-
stinkende Flüssigkeit kam aus der Wunde. Es konnte keine Rede davon
sein, daß er die weitere Gebirgsreise mitmachen könne. Ich nahm einen
Jungen statt seiner und mietete auch ein Pony, um meinem die nötige
Ruhe zu lassen; es stellte sich aber heraus, daß es nur vorwärts zu bringen
war, wenn jemand vor seiner Nase herging. Beim Aufbruch am 13. September
hatte ich zunächst Zank zu schlichten, denn die zuerst gekommenen
Träger hatten möglichst kleine Lasten genommen und waren gleich damit
losgegangen, und dann blieb natürlich Gepäck übrig und es hieß, ihnen
nachschicken und die Lasten richtig verteilen. Bald ober Tsedjrong macht
der Mekong ein scharfes Doppelknie, allerdings von kaum 1 Jan Länge.
Ich verfolgte hier den Weg am rechten Flußufer aufwärts. Er quert zwei
Seitenbäche, dann steigt er allmählich an, um eine größere Schleife des
Flusses über den quer in die Talrichtung gestellten Rücken abzuschneiden.
Je weiter man fortächreitet, desto großartiger werden die Bilder. Die
ununterbrochen steilen Talhänge, im untern Teile bebaut, mit den Gruppen
malerischer, vernachlässigter Häuser, darüber von üppigem Mischwald und
weiter dunklem Tannenwald bedeckt, über dem die Felsen der Bergkämme
aufragen, gegenüber einmal eine schöne Gruppe von Zinnen, gelbgrau in
der Abendbeleuchtung, in der Tiefe der Fluß, eingeengt, rotbraun in der
Regenzeit, scheinbar ganz unbegründet scharfe Kurven beschreibend.
Besonders malerisch sind die beiden Häusergruppen des Dorfes Tola, die
gegenüber hoch oben in Stufen an den Steilhang geklebt erscheinen. Der
Weg steigt bald steil auf zum Dorfe Serä, das bereits mehr als 400 m
über der Talsohle liegt, einem der größten der Gegend, aus drei großen
Gruppen größtenteils • steinerner Häuser bestehend. Hier schlief ich auf
einem flachen Vordach. W usoling besah sich eine Schlafgelegenheit auf
irgend einem Kasten. „Da gibt es ja Flöhe am hellichten Tag!“ rief er
aus. „Flöhe? aber massenhaft!“ beruhigte ihn der Hausherr. Noch weiter
geht es allmählich am Hange hinansteigend, erst ober einer Schlucht
wieder abwärts, die der Fluß in eine von Ost an ihn herantretende Kalkmauer
eingefressen hat. Vom Höhepunkt des Weges sieht man flußaufwärts
in ein Land von einfacher, beinahe melancholischer Großartigkeit. Gleichmäßig
steil, gleichmäßig durchfurcht sind die einfarbig braunen, dürren,
über 2000 m hohen Hänge. Nur unten gegen den Fluß wölben sie sich
etwas vor, um steil abfallend nicht das geringste ebene Fieckchen neben
dem Wasser zu lassen. Von Guta, das wieder in der Talsohle liegt, übersieht
man die erwähnte Kalkschlucht nach abwärts. Abgerundete Felsköpfe
fallen in senkrechten, unten aber ausschweifenden kahlen Wänden zum
ungefähr 150 m breiten, recht ruhigen Flusse ab. Als auf ein Kuriosum sei
auf die grausige Abbildung hingewiesen, die C ooper in seinem Buche
„Reise zur Auffindung eines Überlandweges von China nach Indien“
wohl nur nach der Erinnerung von dieser Schlucht gibt, die er „Hogg’s
gorge“ nennt. Von Guta weiter geht es wieder am Flusse dahin. Mächtige
Zypressen (Cupressus Duclouxiana) säumen ihn ein. Gleichmäßig wie die
Pappeln einer Allee ragen die riesenhaften dunklen Pyramiden in die Höhe.
Bei hohem Wasserstand, während der ganzen Regenzeit, tauchen ihre
mächtigen geraden Stämme in das Wasser des Flusses, das um ihre Füße
das Erdreich wegnagt und auch ihre Rinde beschädigt. Ich habe nie mehr
ein solches Vorkommen dieses ausgesprochen trockenheitsliebenden, hier
an den steilen Felshängen gemeinsam mit Thuja häufigen Baumes gesehen,