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cligsten an sich selbst nicht nur, sondern zugleich das einflussreichste
auf den Entwicklungsgang der Wissenschaft überhaupt, besonders
auch der Botanik, die jetzt plötzlich einen unerwarteten Aufschwung
nimmt, um nur zu bald wieder zu erlahmen: Ich meine das Bekanntwerden
der p h y s i s c h e n und metaphysischen Werke
d e s Ar istoteles im christlichen Abendlande.
Von des Aristoteles logischen Schriften besass man seit
dem Anfange des sechsten Jahrhunderts, also von der Zeit an, da
die Kenntniss der griechischen Sprache im Abendlande allmälig
erstarb, des B o e t h i u s lateinische Uebersetzung. In den bessern
Schulen ward dieselbe fortwährend gelesen; und als Erfinder der
Dialektik, deren man sich bei spitzfindigen theologischen Disputationen
eifrigst bediente, stand ihr Verfasser in hohem Ansehen.
An seine phys i schen und me t a p h y s i s c h e n Werke dagegen
war fast jede Erinnerung erloschen, als sich zu Anfang des dreizehnten
Jahrhunderts erst einige derselben, bald fast alle in lateinischer
Uebersetzung mit reissender Schnelligkeit über das Abendland
verbreiteten, und gleich einer plötzlich hereinbrechenden Naturgewalt
eine unwiderstehliche Wirkung ausübten.
Man hat lange gestritten, ob diese Uebersetzungen in Span
i e n aus dem Arabischen, oder ob sie unmittelbar aus den
g r i e c h i s c h e n Originalen gemacht wären, die man bei Gelegenheit
der Kreuzzüge in Kons tant inope l oder sonst wo
kennen gelernt hätte, bis endlich Jourdain^) eine grosse Anzahl
jener zum Theil noch ungedruckten, in den Handschriften der
pariser Bibliothek vorhandenen Uebersetzungen einer speciellen
Kritik unterwarf, und dadurch nicht allein die gleiche Berechtigung
beider Ansichten und ihre Grenzen nachwies, sondern uns zugleich
mit einem sinnreich einfachen Unterscheidungszeichen für beide
Arten der Uebersetzung bekannt machte. Es zeigte sich nämlich,
dass die altern Uebersetzer, ihrer Aufgabe wenig gewachsen, gar
1) Jourdain, Geschichte der aristotelischen Schriften im Mittelalter. Eine
gekrönte Preisschrift. Aus dem Französischen übersetzt, mit einigen Zusätzen, Berichtigungen
und einem Namenregister, von Ad. Stahr. Halle 1831, 8.
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häufig ihnen unverständliche Ausdrücke unübersetzt
b e i b e h i e l t e n , aus denen sich leicht abnehmen lässt, ob sie nach
einem griechischen oder nach einem arabischen Texte arbeiteten.
Es ergab sich ferner aus Jourdain's Untersuchungen, dass die
ersten lateinischen Uebersetzungen aller aristotelischen Werke, die
logischen ausgenommen, in den kurzen Zeitraum von 1220 oder
gar 1225 bis 1272, dem Todesjahr des T h oma s von Aquino,
zusammenfallen; dass es schon um dieselbe Zeit von den meisten
seiner Werke mehrere Uebersetzungen gab, gewöhnlich zwei,
welche in den Handschriften und den Citaten der Scholastiker als
T r a n s l a t i o vetus und nova unterschieden zu werden pflegen ;
dass in der ßegel, von der es jedoch einige Ausnahmen giebt,
die ältere aus dem Arabischen, die neuere aus dem Griechischen
gemacht war, indem die Unzulänglichkeit jener zur Anfertigung
dieser auiFoderte, sobald man sich in den Besitz eines griechischen
Originals gesetzt hatte. Man kann sich auch von der Beschaffenheit
jener ersten Art der Uebersetzungen leicht eine Vorstellung
machen, wenn man hört, wie sie verfertigt zu werden pflegten. Abgesehen
davon, dass die Araber selbst schon höchst unzuverlässige
Uebersetzer waren, so kannten diejenigen, welche eine Uebersetzung
aus dem Arabischen ins Lateinische unternahmen, jene Sprache
fast niemals selbst, sondern sie begaben sich nach Toledo, seit
1085 den Moshmen wieder entrissen, und zur Hauptstadt des
christhchen Königreichs Castilien erhoben, zugleich dem Hauptsitz
maurischer Gelehrsamkeit im christlichen Spanien; hier Hessen
sie sich den arabischen Text des zu übersetzenden Werks durch
einen getauften Juden oder Mauren in der Landessprache (also
spanisch) vorlesen, und schrieben das Gehörte lateinisch nieder.
Die bessern aus dem Griechischen gemachten Uebersetzungen verdankte
man vornehmlich erst dem Eifer, womit sich T h oma s von
Aquino dergleichen hervorzurufen bemühete.
Den Enthusiasmus für Aristoteles halten indess schon die
1) Jourdain a. a. 0. Seite 102 des Originals, dessen Paginirung sich am
Rande der Uebersetzung angegeben befindet.
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