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160 B u c h XIII. Kap. 4. §. 21.
Bandes. Jeden unverstandenen griechischen oder arabischen Ausdruck
Hess man gradezu stehen, und that wohl daran; denn so blieb
doch die Möglichkeit früher oder später einmal die rechte Bedeutung
zu finden. Schlimmer M'ar's, wenn man falsch übersetzt und den
Ausdruck des Originals verloren hatte. Am wenigsten verstanden
die Uebersetzer, wie begreiflich, die P f l a n z e n n ame n , bei ihnen
waren der MissgrifFe oder unübersetzt gelassenen Worte kaum
weniger als der Namen selbst. Und in gleicher Verlegenheit
hatten sich schon die Araber bei ihren Uebersetzungen aus dem
Griechischen befunden; auch sie hatten bald unrichtig übersetzt,
bald ohne sich auf Deutungen einzulassen die griechischen Laute
in ihrer so weit abweichenden Sprache nur nachzubilden versucht.
Zweifel und Irrthümer multiplicirten sich daher bei Wiederholung
derselben Operation durch die Latino-Barbaren, Missverstand und
Unverstand erwuchsen und verflochten sich zu einem undurchdringlichen
Dickicht. Käme eine Zeit wie die unsrige in eine ähnliche
Verlegenheit, sie würfe vermuthlich den ganzen Plunder einer solchen
Nomenclatur über Bord, und begänne die Arbeit von vorn an aufs
Neue. Dem Mittelalter gestattete seine gläubige Pietät ein solches
Verfahren nicht, auch fehlte ihm die Kraft etwas Neues zu gestalten.
Hartnäckig klammerte es sich an das Ueberlieferte, und erwies sich
unermüdlich in Versuchen, Einen unverstandenen Ausdruck nach
dem andern, wenn nicht aufzuklären, so doch zu errathen. Einzelne
Versuche der Art reichen viel höher hinauf, zum Hauptgeschäft
machten sich dasselbe erst die beiden Lexikographen Simon
J a n u e n s i s und Ma t thäus Sylvaticus, obgleich beiden das
wichtigste Instrument zur Ausführung ihrer Arbeit, die Kunde der
griechischen und arabischen Sprache, beinahe ganz abging,
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S i m o n Januensis.
Von ihm wissen wir fast nur, was er in seinem Hauptwerk,
der Clavis sanationis, gelegentlich über sich selbst, und was sein
Freund Camponus, dem er es gewidmet hatte, in seinem Dank-
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schreiben von ihm sagt. Tiraboschi der unter den neuern
Literarhistorikern am gründlichsten von ihm handelt, belehrt uns,
dass jener Campanus der als Commentator des Euklides bekannte
Mathematiker und Astronom sei, welcher eins seiner Werke
dem Papst Urban IV (regierte 1261—1264) widmete. Dieser Freund
lobt das ihm vorgelegte Werk mit vollem Recht, Der Verfasser
scheint es S y n o n yma medicinae genannt zu haben; Campanus
sagt, er wolle ihm den Titel geben: „Clavis sanationis, elaborata
per magistrum Simonem Januensem (oder Genuensem,
wie die mir unbekannte Editio princeps lesen soll), domini papae
subdiaconum et capellanum, medicum quondam felicis memoriae
domini Nicolai papae quarti, qui fuit primus de ordine minorum/^
Daraus ergiebt sich die Zeit des Werks mit ziemlicher Genauigkeit.
Nicolaus IV regierte von 1288 bis 1292, Ihm folgte nach mehr als
zweijähriger Vacanz Cölestinus V, der nach wenigen Monaten
wieder abdankte; worauf Boniiacius VIII vom December 1294 bis
October 1304 auf dem päbstlichen Stuhle sass. In dieser Zeit muss folglich
Simon sein Werk geschrieben haben. In der Aufschrift seines
Briefes bezeichnet Campanus seinen Freund als Canonicus Eothomagensis
und sich selbst als Canonicus Parisiensis, wodurch sich
einige Neuere verleiten Hessen, beide für Franzosen zu halten.
Es leidet indess keinen Zweifel, dass Campanus aus Novara, Simon
aus Genua war, ungeachtet der französischen Canonicate, deren
sie genossen. Nach den meisten Neuern soll letzterer eigentlich
S i m o n de Cordo heissen, Merklin in seinem Lindenius renovatus
und nach ihm Grässe nennen ihn Simon Geniates a Cordo;
aber keiner giebt seine Quelle an, und schon Tiraboschi erklärt
nicht zu wissen, wie man auf den Namen de Cordo gekommen
sei. Wozu also die stete Wiederholung der wahrscheinlich auf
irgend einem Missverständniss beruhenden Nachricht? Zur Zeit
des Nicolaus hielt sich Simon als dessen Leibarzt ohne Zweifel am
päbstlichen Hofe auf, später scheint er nach seiner Vaterstadt zurückgekehrt
zu sein, und daselbst sein Werk beendigt zu haben;
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;J) Tiraboschi IV pag. 151 und 201 der römischen Ausgabe.
M e y e r , Gesch. d. Botanik, IV. H