B u c h X I L K a p . 1. §. 3.
§. 3.
A l b e r t s ä c h t e p h i l o s o p h i s c h n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e n
We r k e .
In eines Schriftstellers Leben tritt jede ihn berührende äussere
Begebenheit weit zurück hinter seine Schriften. Sie sind seine
Thaten, der Spiegel seines innern Lebens. In Alberts Schriften
erkennen wir, ausser dem grundgelehrten Theologen, der utis nicht
angeht, vor allem e i n e n t s c h i e d e n e s T a l e n t d e r N a t u r -
f o r s c h u n g , offenen Sinn, hellen Verstand, liebevolle Hinneigung
gegen die Natur, unermüdlichen Drang das zerstreut Wahrgenommene
in seinem Zusammenhange zu fassen, seinen Gründen nach
zu begreifen, das alles verbunden mit einem kindlich frommen,
seiner Kirche in gläubigem Vertrauen zugethanen Gemüth. Welchen
Eindruck mussten auf einen solchen Mann die zu seiner Zeit
rasch nach einander in lateinischen Uebersetzungen dem Abendlande
wiederaufgehenden Schriften des A r i s t o t e l e s machen!
Fes t im Glauben, war er so weit entfernt, sich durch sie in seinen
religiösen Ueberzeugungen erschüttern zu lassen, dass er vielmehr
gegen den Wunsch der Seinigen in einen geistlichen Orden trat
und sich ganz der Theologie widmete; doch zugleich ergriffen von
staunender Bewunderung eines, nach seinem eigenen Gesetz frei
sich bewegenden, alle Tiefen der Speculation durchforschenden
Geistes, der ihm auf einmal so manches Räthsel löste, und ihn
unerwartet in das seiner eigenen Natur zusagende Element versetzte,
konnte er dem Drange des philosophischen Denkens und
einer freieren Auffassung der ihn umgebenden sinnlichen wie sittlichen
Welt unmöglich widerstehen. Allein zweierlei sich widersprechende
Wahrheiten gehen nicht in Eines Menschen Hirn.
Lehrte Aristoteles in der That die wahre Philosophie und Naturbeschaifenheit,
so musste sie nothwendig mit seines Glaubens unmittelbarer
Gewissheit übereinstimmen, ihr nicht Gefahr bringen,
sondern umgekehrt jede Gefahr des Zweifels und ketzerischer Verirrung
abwenden. So begreift man, wie er dazu gelangte, die Darstellung
der aristotelischen Philosophie und Naturauffassung, nicht
B u c h XI I . K a p . 1. §. 3.
im Gegensatze, sondern in reiner Identität mit der katholischen
Orthodoxie, zur Aufgabe seines Lebens zu machen, die er mit
eiserner BeharrUchkeit bis ans Ende seines langen Lebens verfolgte.
Zu wahrer Freiheit des Denkens durchzudringen, vermochte er
noch nicht; er setzte nur eine Autorität neben die andere; doch
übte er wenigstens in der Wahl derselben schon gesunde Kritik.
Aus einer seiner theologischen Schriften, die leider nicht genau
genug bezeichnet ist, führt Petrus (cap. 43, pag. 288) folgende in
damaliger Zeit merkwürdige Stelle an: „Sciendum tamen, quod
Augustino in his, quae sunt de fide et moribus, plus quam philosophis
credendum est, si dissentiunt. Sed si de medicina loqueretur,
plus ego crederem Galeno vel Hippocrati; et si de naturis
rerurn loquatur, credo Aristoteh plus quam alii, experto in rerum
naturis." Und überhaupt Hess sich die Aufgabe, die er sich gestellt,
nicht lösen, ohne mancherlei wunderhche Deuteleien und
Spitzfindigkeiten. Gebe er sich jedoch als Philosoph und Theolog
noch so viele Blossen, was zu beurtheilen ausser meiner Sphäre
Hegt, sein Ringen nach Wahrheit wird uns bei unbefangener Betrachtung
stets ehrwürdig bleiben; und selbst in der Erhebung des
Aristoteles zu einer zweiten unfehlbaren Auctorität neben der der
Kirche, lässt sich der nothwendige Durchgang aus völHg einseitiger
Gebundenheit zu freier Bewegung des Geistes nicht verkennen.
EigenthümHch ist Alberts Me t h o d e . Ueber alle Gegenstände,
über welche er aristotelische Schriften besass, hat auch er gqschrieben,
jenen sich genau anschHessend, aber ausführiicher, Dunkelheiten
aufzuklären, Zweifel zu lösen, Fehlendes zu ergänzen bemüht.
Die Ueberschriften seiner Bücher, Tractate und Kapitel,
in die er nach Art der Araber einzutheilen pflegt, bieten meist
eine genaue Disposition des entsprechenden aristoteHschen Werks
dar, untermengt mit sogenannten D i g r e s s i o n e n , das heisst solchen
Kapiteln Tractaten oder ganzen Büchern, in denen er die
Dinge auf seine Weise, zwar immer, wie er sich wenigstens einbildet,
aristoteHschen Grundsätzen gemäs s , doch ohne den Lei t -
faden eines aristoteHschen Textes behandelt. Konnte er sich ein
Werk des Aristoteles, das als GHed in der Ket te nicht fehlen
W