104 B u c h XII. Kap. 2. §. 10. B u c h XII. Kap. 2. §. 10. 105
besonderer Pflanzen; terminologische Bestimmungen über die Organe
der Pflanzen im Allgemeinen, und, so weit sie vorhanden
waren, die Beschreibung jeder besondern Pflanze; den ökonomischen
oder medicinischen Gebrauch derselben, ihre Cultur, die
Etymologie ihres Namens, die bildhchen Beziehungen, welche ihnen
Dichter Moralisten und Theologen gegeben, kurz alles, was die
benutzten Quellen darboten. Es fehlt dem Werke nichts, als die
Einheit und das Gleichmaass der Theile, welches nur der Durchgang
des rohen Stoffs durch die belebende Thätigkeit des Geistes
zu geben vermag, und — die Bereicherung des Ueberlieferten durch
eigene Beobachtung. Hätte zum Beispiel ein denkender Pflanzenkenner
die Masse der botanischen Excerpte redigirt, er würde
bald bemerkt haben, dass durch die zahllosen Brocken aus den
Kirchenvätern, die, wenn sie von Pflanzen sprechen, gewiss oft
selbst nicht wussten, wovon sie eigentlich sprachen, die Einsicht
in die Natur der Pflanzen nichts gewinnen konnte, dass vielmehr
unter solch leerem Wust die wirklich gehaltreichen Mittheilungen
erstickt werden mussten. Doch das konnte Vincentius, der viel-'
leicht nie eine lebendige Pflanze forschend betrachtet hatte, weder
beurtheilen, noch durfte er, wenn er es auch erkannt hätte, dem
Zeitgeist entgegen darnach handeln.
Auch das S p e c u l u m doct r inal e dürfen wir nicht ganz übersehen.
Buch VI handelt von der Haus- und Landwirthschaft,
Buch XII—XV von der Medicin, wobei sich manches Botanische
was das Speculum naturale bereits darbot, wiederholt, aber auch
manches dort Uebergangene vorkommt.
Im S p e c u l u m h i s tor ial e lässt wenigstens das letzte Buch^)
1) In der von mir benutzten zweiten, 1483 von Anton Koburger in Nürnberg
besorgten Ausgabe (die erste 1473 von Mentelin in Strasburg gedruckte
besitze ich nicht) zerfällt das Speculum historiale in 32 Bücher und 3854
Kapitel. Nach der Hisloire Ulteraire de la France vol. XVIII, pag. 503, deren
Angabe von Grässe und Andern wiederholt wird, soll es nur aus 31 Büchern
und 3793 Kapiteln bestehen. Vielleicht hat Mentelin das erste Buch, welches
wie bei Plinius nur aus einer Inhaltsanzeige der folgenden Bücher besteht,
nicht mitgezählt.
den Naturforscher nicht ganz leer ausgehen. Es enthält eine Beschreibung
der Tartarei nach den Berichten der ältesten Missionarien,
welche dieselbe bereisten, des Dominicaners Ascel in, dessen
Begleiter Simon von St. Quent i n dem Vincentius bekannt
war, und ihm mündlichen Bericht erstattete, und des Minoriten
J o a n n e s de P i ano Carpini. Doch für den Botaniker wüsste
ich nichts einigermassen Erhebliches aus ihren Berichten anzuführen.
Fragen wir nun nach dem Einfluss eines an sich so bedeutenden
Werks auf den Gang der Wissenschaft, so sehen wir unsre
gerechten Erwartungen getäuscht. Alberts Leistungen blieben fast
wirkungslos, weil sie ihre Zeit überragten; das Werk des Vincentius
entsprach ganz dem Geist seiner Zeit, und frischte zugleich so
viel Vergessenes aus einer bessern Zeit wieder an, dass man glauben
möchte, es müsste der Wissenschaft einen neuen kräftigen
Impuls gegeben haben. Wir sehen uns um nach seinen Wirkungen
und — finden sie nicht. Das Werk erlag, wie es scheint,
seiner Massenhaftigkeit und den immensen Kosten seiner Vervielfältigung.
Als ein kostbarer Schatz lag es angekettet in wenigen
Bibliotheken, wurde gewiss als Merkwürdigkeit oft genug vorgezeigt
und bewundert, und desto seltener studirt. Es war eins der
ersten, dessen sich nach Erfindung der Buchdruckerkunst die Presse
bemächtigte; sechs- vielleicht gar siebenmal ward es vollständig
gedruckt, doch vermuthlich nur in schwachen Auflagen; denn längst
gehören alle Ausgaben, zumal die ältern und bessern, zu den Seltenheiten.
Einzelne Naturforscher der nächst folgenden Zeit benutzten
es, die meisten kennen es nicht.
In neuerer Zeit machten die Philologen, z. B. Schneider
bei Bearbeitung der Scriptores rei rusticae, Gebrauch davon zur
Berichtigung des Textes aher Schriftsteller. Doch bemerkt schon
B e c kma n n 1) in Bezug auf des Pseudo-Aristoteles Büchlein de
mineralibus: „Zuweilen hat Vincentius einerlei Stelle mehrmal
angeführt, und jedesmal etwas anders. Wenn er eben so eigen-
1) Bechmann, Vorrath kleiner Anmerkungen, Stück II, Gottingen 18Ü3^
Seite 368.