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nistischer und medicinischer Kenntnisse ohne, so viel man weiss,
seine Vaterstadt verlassen und sich ausgezeichneter Lehrer bedient
zu haben. Der Eifer und Aufwand, womit er Handschriften der
Klassiker gesammelt haben soll, lässt voraussetzen, dass er in
glücklichen äussern Verhältnissen lebte, ohne welche sich eine so
kostbare Liebhaberei nicht befriedigen liess. Einen Ruf als Leibarzt
des Königs von Frankreich Franz I. und der Königin Mutter
Louise soll er, um durch das Hofleben nicht von den Wissenschaften
abgezogen zu werden, abgelehnt haben. Nach dem Verlust
seiner Gattin trat er in den geisthchen Stand, nahm ein ihm
angebotenes Canonicat zu Paris an, und setzte dort, auf sich selbst
zurückgezogen wie zuvor, seine gelehrten Arbeiten fort, bis ein
Schlagfluss 1537 seinem Leben ein plötzliches Ende machte.
Seine schriftstellerische Laufbahn eröffnete er im Alter von 42
Jahren mit der l a t e ini s che n Uebersetzung des Dioskorides,
zuerst gedruckt Parisiis 1516 in fol. Die Zueignungsschrift
von demselben Jahre sagt uns, dass er sich damals schon zu Paris
befand. Das Werk enthält, ausser den fünf Büc h e r n der Heilm
i U e l l e h r e , wie der Titel sagt, auch noch de virulentis
a n i m a l i b u s et venenis, cane rabioso, et eorum notis ac
r e m e d i i s libri quatuor, also im Ganzen neun Bücher, die in
der Uebersetzung selbst fortlaufend gezählt sind. Die Eandglossen
späterer Abdrücke dieser Uebersetzung fehlen der vor mir liegenden
Originalausgabe. Sie enthält ausser dem Text nur noch dne
kurze Zueignung an den königlichen Rath Antonius Disomus,
worin Ruellius klagt, dass er beim Mangel aller Handschriften
nach dem gedruckten griechischen Text (also nach der ersten Aldina),
der voller Fehler sei, hätte übersetzen müssen. Nur in den
Büchern von den Giften hätte er nach einer sehr alten Hands
c h r i f t des Paulos Aeginetes vieles berichtigen können. Die
Uebersetzung des He rmol aus Barbarus war älter, wiewohl sie
gedruckt, wie wir sahen, auch erst im Jahr 1516 erschien; sie soll
aber der des Ruellius weit nachstehen. Die des M a r c e l l u s Verg
i l i u s erschien zwei Jahr später, ohne Kunde ihres Verfassers
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von der des Ruellius. So erfuhr Dioskorides in Zeit von drei
Jahren drei von einander unabhängigen Uebersetzungen.
Im Jahr 1528 machte Ruellius zuerst den S c r i b o n i u s Largus
bekannt. Doch erschien die Ausgabe erst im folgenden Jahre als
Anhano- zu einer gleichfalls von ihm besorgten Ausgabe des Corn
e l i u T Celsus, Parisiis 1529 in fol., die ich nicht kenne, die
aber nach Choulant wenig Eigenes enthält. Nur ein Jahr später
erschienen von ihm übersetzt Veter inar iae medicinae libri duo,
Parisiis 1530 in fol. Darauf folgte 1536 sein grosses eigenes Werk,
worüber ich sogleich sprechen werde; und endlich zwei Jahr nach
seinem Tode die Uebersetzung des Joannes Aktuarios de
m e d i c a m e n t o r um comp o s i t i o n e , Parisiis 1539 in 8. An
all diesen Uebersetzungen rühmt man die mit Treue verbundene
Eleganz der Sprache, daher sein gelehrter Zeitgenosse und Landsmann
Budäus den Ruellius den Adler der Uebersetzer nennt.
Aber wichtiger als sie ist sein grosses eignes Werk: de Natura
stirpium libri III, zuerst, wie behauptet wird, als em
Meisterstück typographischer Kunst erschienen Parisiis 1536 m
fol, mit einer Dedication an König Franz I. von demselben Jahr,
dann dreimal wiederholt Basileae 1537, 1543 und 1575 in fol., und
einmal Venetiis 1538 in zwei Abtheilungen in Octav, von denen
die erste das erste, die andre die beiden letzten Bücher enthalt.
Ich besitze nur die baseler Ausgabe von 1537. — Das ist nach
Theophrastos, nach also 1700 Jahren, der erste Versuch emer vol l -
s t ä n d i g e n Naturges chi cht e der P f l a n z e n , und schon deshalb
unsrer vollen Anerkennung werth. Es liegt in der Natur
solcher Werke, dass sie grösstentheils compilirt sein müssen; denn
wer darf sich rühmen eine ganze Wissenschaft selbst gemacht zu
haben? Ruellius excerpirte seine Vorgänger von Theophrastos
herab bis auf Hermolaus Barbarus, und verwebte, was er ihnen
entlehnte, mit dem, was er selbst hinzufügte, so geschickt, dass
der Leser beides oft gar nicht unterscheiden kann; denn nicht an
jeder Stelle citirt er den wahren Verfasser, wiewohl er im Allgemeinen
anerkennt, wie viel er jedem seiner Vorgänger verdankt.
Das ist das grosse Verbrechen, was man ihm nie verziehen hat.
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