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420 Bu c h XV. Kap. 5. §. 64.
§. 64.
Die vermeint e Entdeckung der Geschlecht l ichkei t der
P f l a n z e n und Er f indung des Sexualsystems.
Man spricht aber noch von andern Männern jener Zeit, denen
man schon damals die Bekanntschaft mit dem Sexualsystem
d e r Pflanzen zuschreibt. Der Ausdruck ist doppelsinnig: jetzt
pflegen wir darunter bekanntlich die von Linné eingeführte systematische
Anordnung der Pflanzen nach den verschiedenen Verhältnissen
ihrer Geschlechtsorgane zu verstehen. Dass ein Sexualsystem
der Pflanzen in diesem Sinne vor Linné nicht existirte,
darüber werden wohl alle Botaniker einig sein. In einem andern
Sinne nennt man bekanntlich auch jeden Complex physiologisch
zusammenwirkender Organe ein System, also den Complex der
pflanzlichen Geschlechtsorgane ihr Sexualsystem. Nur in dieser
Bedeutung kann von einer Bekanntschaft mit dem Sexualsystem
der Pflanzen vor Linné die Eede sein. Indess sollte man sich
des Ausdrucks in dieser Bedeutung in Fällen, wo er zu Missverständnissen
führen kann, enthalten. Diese Vorsicht ward von verschiedenen
neuern Schriftstellern vernachlässigt, es wäre denn, dass
jenes Missverständniss sogar sie selbst schon umgarnt hätte.
K e n z i ^ ) giebt in seiner Geschichte der Medicin in Italien
einen besondern Paragraphen mit der Ueberschrift : „Einführung
der ersten Classificationen und Methoden in die Botanik," und eröffnet
denselben mit folgendem Satze: „das Sexual sys tem der
P f l a n z e n , sagt Monti^), schon dem Theophr a s to s durch den
Sinn gegangen, stand wieder auf, nicht als verworrene, sondern
glänzende Idee in P a t r i z î ' s Geiste; und obgleich es erst des
feinen Blickes und Taktes Linné's bedurfte, um die Idee zu reifen,
so darf man deshalb jenem doch nicht die Ehre entziehen, sie
zuerst cultivirt und, so weit es ihm die Kindheit der Botanik ge-
1) Renzi l. c. I I I , pag. 119,
2) Renzi citirt die Stelle nicht. Ich weiss daher nicht, ob er Giuseppe,
oder Lorenzo Monti meint,
Buch XV. Kap. 5. §. 64. 421
stattete, glücklich genährt zu haben." Es leidet fast keinen Zweifel,
dass Monti hier vom Sexualsystem im physiologen Sinne sprach.
Renzi fasst seine Worte anders auf; er fährt fort: „In der That
d i e s e r F r anc e s c o Patrizi schlug vor als Methode der
E i n t h e i l u n g in der Bot ani k das v e r s c h i e d e n e Geschlecht
d e r P f l a n z e n . Aber weil er sich auf einen Vorschlag beschränkte,
und ihn nur mit einem Beispiel auf die Botanik anwandte, so bildete
der berühmte Linné nach nicht weniger als zwei Jahrhunderten
darauf sein berühmtes System, wodurch sein Name unsterblich
ward. Kann man darum aber den grossen Italiäner der Priorität
der Erfindung berauben?" Offenbar hat Renzi seinen Vorgänger
missverstanden, und das Wort Sexualsystem in der Bedeutung
methodischer Anordnung aufgefasst. Halten wir uns vorerst lediglich
an Renzi's eigne Worte, so schlug Patrizi als Eintheilungsgrund
in der Botanik vor „il diverso sesso delle piante." Das
L n n nichts anderes bedeuten, als dass er die Pflanzen in männl
i c h e und weibl iche eintheilen wollte. Das war aber unmöglich,
wenn er den Hermaphroditismus der meisten Pflanzen kannte oder
auch nur ahnete. Man muss also voraussetzen, er hätte die Geschlechtlichkeit
der Pflanzen im Sinne der Alten genommen, welche
öfter zwei besonders ähnliche Pflanzenarten als Männchen und
Weibchen betrachteten ; und dann bestände sein angeblicher Vorschlag
darin, alle einander unähnliche Pflanzen in Eine Klasse
zusammen zu werfen, alle sehr ähnliche in zwei Klassen zu trennen.
Dürfen wir dem geistreichen Patrizi einen so thörichten Einfall
zutrauen? Lieber wollen wir erst ihn selbst hören.
Renzi sagt nicht, wo und mit welchen Worten Patrizi sich
über die Geschlechtlichkeit der Pflanzen ausgesprochen hat;
Tiraboschi») sagt es, indem er Patrici's Verdienste rühmt, mit
folgenden Worten: „Derselbe weist in den alten Philosophen viele
Meinungen nach, welche von den jüngern aufs neue aufgestellt
und mit besserm Erfolg aufrecht erhalten wurden, und so sehen
wir unterandern von ihm angedeutet das System des ver-
1) Tir ah OS chi storia della letteriatura ltaliana"jom. VU, part, i, pag, 407,
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