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434 B u c h XV. Kap. 6. §. 67.
§. 67.
L e o n h a r d Thurneisser zum Thum.
Fanden wir bei Carrichter nur wissenschaftliche Verirrung und
Beschränktheit, so begegnen wir in Thurnei s ser , einem der
erklärtesten Anhänger des Paracelsus, wieder einem entschiedenen
Talent, aber zugleich der baarsten Gaunerei. Der Q-rundo-elehrte
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M o e h s e n hat sein Leben in den Beiträgen zur Geschichte der
Wissenschaften in der Mark Brandenburg (Berlin und Leipzig
1783 in 4.) mit Benutzung archivaHscher Nachrichten aufs sorgfältigste
beschrieben, ihn mit grosser Unparteilichkeit gegen viel-
G ^^Gsciiulcli^unGn seiner Feinde gründlich vertheidigt, seine
unleugbaren Vergehen und Verbrechen wenigstens zu entschuldigen
versucht, und gleichwohl gehört das Bild, welches er aufstellt,''zu
den widerwärtigsten der ganzen Literargeschichte.
L e o n h a r d Thurneisser zum Thum, geboren zu Basel
1530, der Sohn eines Goldschmidts daselbst, erlernte des Vaters
Gewerbe in seiner Heimath, und half während der Lehrjahre einem
dortigen Arzt Pflanzen sammeln, Arzneien bereiten, und las ihm
zuweilen vor aus den Schriften des Paracelsus, bis er 1548 einige
Juden, die ihn betrogen hatten, durch ein vergoldetes Stück Blei,
Avas er für Geld verkaufte, wieder betrog, und landflüchtig werden
musste. Schon seit seinem sechzehnten Jahr war er verheirathet,
ward aber bald nach seiner Flucht geschieden. Er ging nach Enp--
land, das Jahr darauf nach Frankreich, kam dann nach Deutsckland,
liess sich 15o2 als Schütze bei der Armee des Markgrafen
Albrecht von Brandenburg anwerben, gerieth 1553 in Gefangenschaft,
und arbeitete einige Jahre auf verschiedenen Berg- und
Hüttenwerken, bis er, nach seiner zweiten Verheirathuno- im Jahr
1558 zu einigem T\^ohlstand gekommen, zu Tarenz im obern Innthal
auf eigne Rechnung eine Schwefelhütte anlegte, und mit solchem
Erfolg betrieb, das Gelehrte und Vornehme aufmerksam auf ihn wurden.
Graf Ladislaus von Hag gab ihm die Aufsicht über seine Bergwerke,
und Erzherzog Ferdiand, des Kaisers Sohn, liess ihn zur Erweiterung
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seiner Kenntnisse o;rosse Reisen machen, 1560 nach Schottland
und den Orkadischen Inseln, 1561 nach Spanien und Portugal.
Von da ging er nach Afrika hinüber, der Küste entlang bis Aegypten,
weiter nach Arabien, Syrien, und kam über Candia, Griechenland,
Italien, Ungarn, zurück nach Tyrol, wo er 1565 wieder eintraf,
und seine bergmännischen Arbeiten in des Erzherzogs Diensten
wieder aufnahm. Als gewandter Chemiker glaubte er nach
des Paracelsus Vorbilde auch Arzt sein zu können, unternahm
viele Kuren, und erwarb sich bald durch seine Geheimmittel einen
ausgedehnten ärztlichen Ruf. Auch als alchymistischer Schriftsteller
trat er jetzt auf, und ging 1569 nach Niederdeutschland, um daselbst
einen Verleger seiner Werke, welche reich mit Holzschnitten
geziert werden sollten, zu suchen. Einen solchen fand er endhch
1571 zu Frankfurt an der Oder, wo er sich deshalb niederiiess.
Hier ward er dem jungen Kurfürsten von Brandenburg Johann
Georg bei der Huldigung vorgestellt, und erwarb sich dessen
Gunst in solchem Grade, dass er von Ihm nach Berlin gezogen,
mit hohem Gehalt als Leibarzt angestellt, und dreizehn Jahr lang
mit Gnadenbezeugungen vielfacher Art überhäuft ward. Zu Berlin
entfaltete er nach verschiedenen Seiten eine ungemeine Thätigkeit,
lebte auf sehr grossem Fuss und erfreute sich der Hofgunst in
reichem Maass. Er praktlsirte, machte Harnproben, jede zu zehn
Thalern, und verkaufte selbst bereitete Gehelmmittel, auch Amúlete
und Talismane zu hohen Preisen, unterwies junge Leute, die ihm
von hohen Herrschaften zugesandt wurden, gegen hohes Lehrgeld
in der Chemie, stellte Nativitäten, gab astrologische Kalender heraus,
die nicht nur grossen Absatz fanden, sondern auch den Ruf seiner
geheimen Weisheit im Volke verbreiteten und ihm viele neue Kunden
zuführten. Dazu folgten jetzt seine grössern Werke schnell
nach einander. Im grauen Kloster, welches Ihm der Kurfürst eingeräumt,
legte er ausser einem weitläaftigen Laboratorium auch
eine Druckerei und Schriftgiesserei an, unterhielt ]Maler, Zeichner,
Formschneider, Kupferstecher, Schreiber, Laboranten, eigene Boten,
die alle bei ihm im grauen Kloster wohnten, so dass sich sein
Haushalt auf etwa zwei hundert Personen belief. Dazu trieb er
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