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§. 30.
N i c o l a US Leonicenus.
Ich stelle ihn hinter Hermolaus Barbarus, obgleich er, 1428
geboren, 26 Jahr älter war als jener, und das einzige seiner Werke,
welches wir zu betrachten haben, gleichzeitig mit den plinianischen
Castigationen erschien; denn er starb erst 1524 im Alter von 96
Jahren, überlebte jenen also um 31 Jahr. Ausser diesen Zahlen
ist in seinem Leben ungeachtet seiner vielen Biographen, vieles
zweifelhaft, und Ti raboschi^) stellt die verschiedenen Angaben
Verschiedener zwar sorfaltig neben einander, doch löst auch er
ihre Widersprüche nur zum Theil. Ihm folgt ohne Abweichung
Renzi2). Ein kurzer Artikel, den Bayle in seinem kritischen
Wörterbuch dem Nicolaus widmete, ist unerheblich und nicht fehlerfrei.
Schon darüber streitet man, ob Nicolaus aus Castel di Lonigo
(lateinisch Leonicum) im Vicentinischen gebürtig sei, und davon
den Beinamen Leonicenus führe, oder aus Vicenza selbst, ein
Glied der altadlichen Familie Leoniceno. Mir scheint die erste
Meinung schwer vereinbar mit den Namen Nicolaus Leonicen
u s Vicent inus, die er auf allen seinen, auch den noch zur
Zeit seines Lebens erschienenen Büchern führt; zwei Beinamen
nach dem Geburtsort hinter einander sind zwar kein Widerspruch,
wenn der zweite nur zur genauem Bestimmung des ersten dient,
kommen jedoch nur selten vor, unterandern bei einem altern Grammatiker
Omnibonus Leonicenus Vicentinus, der in der That aus
Lonigo gebürtig sein, und zur Familie de Bonisoli gehören solP).
Gewiss ist, dass Nicolaus seine frühere Bildung zu Vicenza erhielt,
dann in Padua Philosophie (das heisst Philologie) und Medicin
studirte, und daselbst die akademische Würde beider Facultäten
empfing. Einer der Geschichtsschreiber jener Universität, Papadopoli,
machte ihn zum Professor daselbst, und obgleich sich ergab,
1) Tiraho ^ chi tom, F7, parte 7. pag, 415 sq. edif, Roman.
2) Renzi storia della medicina in ItaUa, tom, / / , pag. 334,
3) Tiroj})Q^chi tom^ Fi, parte 7/, pag, 368,
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dass dieser Irrthum aus einer Verwechselung mit dem weit jüngern
Niccolo Leonico Tommasi entsprungen war, so meinte Ang. Gabr.
di Santa Maria nichts desto weniger ihn zu den Professoren jener
Universität rechnen zu müssen, weil er unter denselben in den
Jahren 1462 bis 1464 den Namen Niccolo auf alten Monumenten
gefunden haben wollte. Aber „fides sit penes ipsum," sagt F a c i o -
l a t i darüber in seiner Historia gymnasii Patavini (pars II,
pag. 105 nach Tiraboschi), und erklärt damit deutlich genug, dass
er jene Monumente bezweifelt. Der berühmte Antonio Musa
B r a s a v o l a , einer der Schüler unsres Nicolaus, der auch seine
Biographie geschrieben, lässt ihn nach seiner Promotion eine Keise
nach England machen; Andre wissen davon nichts. Ein mir unbekannter
Schriftsteller l 'Al ido si (Dott. forast. pag. 57, bei Tiraboschi)
macht ihn 1508 auf ein Jahr zum Professor der Medicin
und griechischen Sprache zu Bologna. Allein seine zu Ferrara
erhaltene Grabschrift, die mehr Vertrauen verdient, sagt aus, Nicolaus
sei daselbst nach sechzigjähr ige m Aufenthal t im Jahr
1524 gestorben. Zu Ferrara hielt er wirklich erst mathematische,
dann w^enigstens bis 1510 philosophische Vorlesungen, und von
dort aus sind auch die wenigen seiner Briefe, die sich erhielten i),
geschrieben. Das schliesst jedoch kürzere Eeisen nicht aus, und
von einer solchen, die er 1482 über Florenz nach Bologna
machte, wissen wir mit Sicherheit. Im Juli 1482 schreibt ihm der
durch seine Gelehrsamkeit berühmte Fürst G i o v a n n i P i c o Della
M i r a n d o l a , er bedaure, dass ihn ein anderer an ihn nach Florenz
addressirter Brief, worin er ihn zu sich nach Mirandola eingeladen,
erst nach seiner Abreise von Florenz zu Bologna getroffen
1) In der schon citirten für die gesammte itallänische Literargeschichte
des Jahrhunderts wichtigen Sammlung Ang eli Politi ani (et ali or um viro rum
illusirium) epistolarum libri X I I , im zweiten Buch. Meine Ausgabe hat die
Schlussschrift: Argentorati ex officina Schüreriana, Mense Augusto^ ANN. M, D.
XIIL in 4. Ich finde sie weder bei Ebert noch bei Brunet. Jener hat nur
eine mir unbekannte Duodezausgabe von 1644, dieser gar keine. Ob sie in
die Opera Politiani übergegangen ist, weiss ich nicht. Sie enthält Briefe von
mehr als 40 ungefähr gleichzeitigen italiänischen Gelehrten.
- M e y e r , Gesch. d. Botanik. IV, 15