136 B u c h XIII. Kap. 2. §. 16.
§. 16.
D e r Ritter John Maundeville.
Bot uns die vorige Reise schon ein buntes Gemisch von Wahrnehmung
und Erfindung dar, so kommt in dieses Ritters Reise als
drittes Ingrediens noch die für eigne Wahrnehmung ausgegebne
fremde Ueberlieferung oft aus fernster Zeit hinzu, und das alles
ist so unzertrennlich verflochten, dass dadurch selbst die an sich
beachtungswerthen Nachrichten an historischem Werth beträchtlich
verlieren. Geboren in St. Albans, studirte John Maundeville
oder Mandeville, wie er sich im französischen Text seines
Werkes nennt, erst Theologie und andre Wissenshaften, und trieb
sich darauf vier und dreissig Jahr lang, von 1322 bis 1356, als
abenteurender Ritter in Aegypten und ganz Asien bis China umher,
schrieb dann seine Reise selbst erst in lateinischer, dann auch
in französischer und englischer Sprache, und starb 1371 zu Lüttichi).
Gedruckt ist jeder der drei Texte, der lateinische, französische und
englische sehr früh und oftmals, kritisch bearbeitet bis jetzt nur
der englische in der 1725 zu London in 8. erschienenen Ausgabe
und dem Wiederabdruck derselben unter folgendem Titel:
The Voyage and Travaile of Sir John Maundevile, Kt. etc.
Reprimed from the Edition of A. D. 1725. With an introduction,
additional notes, and glossary, by J. O, H a l i i well.
London 1839 in 8.
Ein Verzeichniss von 21 Handschriften und 20 Ausgaben, meist in
englischer Sprache, die der Herausgeber selbst verglichen, geht
voran; die Noten enthalten meist Varianten und Worterklärungen,
und erleichtern nebst dem angehängten Glossar das Verständniss
der veralteten Sprache ungemein. Zahlreiche Holzschnitte aus ältern
Ausgaben und Handschriften sind dem Text eingerückt.
1) Ich folge den Angaben der neuesten englischen Herausgeber und ihres
kritisch berichtigten Textes, da mir die Mittel eigner Untersuchung fehlen.
Nach andern Angaben trat er seine Reise erst 1327 oder 1332 an, vollendete
sie 1340 oder 1366, und starb 1372, ungefähr 70 Jahr alt.
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Des Ritters unverkennbarer Zweck war, seinen eignen Enthusiasmus
für das heilige Land und dessen Wiedereroberung allen
Schichten der Bevölkerung aller christlichen Länder mitzutheilen.
Daher die Abfassung des Werkes in dreierlei Sprachen, daher die
vielen Beziehungen anf biblische und kirchhche Ueberlieferungen ;
daher die poetische Färbung der Sprache und die dem Geschmack
seiner Zeit entsprechende reiche Verzierung mit Wundersagen,
deren mehrere wir längst aus ältern Schriftstellern, einige auch aus
tausend und einer Nacht kennen. So erklärt sich auch die oft
wörtliche Uebereinstimmung mit Odoricus de Porto Naonis. Zum
Theil hat er seinen Zweck erreicht, fast kein andres Buch ward im
Mittelalter und drüber hinaus so begierig gelesen, so oft vervielfältigt,
fast keins ist in dem Grade zum Volksbuch geworden wie
dieses. Aber einen neuen Kreuzzug vermochte es nicht hervorzurufen,
und den grösseren Theil seines wissenschaftlichen Werths
büsste es ein in dem wunderlichen Gewände. Zur Bestätigung
dieses Urtheils hier nur die Ueberschriften einiger Kapitel. Cap. 4.
Von der durch ein Weib in einen Drachen verwandelten Tochter
des Hippokrates. — Cap. 6. Wi e Rosen zuerst in die Welt kamen. —
Cap. 10. Von der Provinz Galiläa, und wo der Antichrist soll geboren
sein. ~ Cap. 14. Von dem Lande, wo die Weiber fechten
ohne Gemeinschaft mit Männern ; und von der Kenntniss und den
Eigenschaften des wahren Diamants. — Cap. 15. Von der Quelle,
die''jede Stunde des Tags ihren Geruch ändert. — Cap. 19. Von
verschieden gestaltetem und wunderbar missgestaltetem Volke. —
Cap. 28. Vom Teufelskopf und dem Thale der Gefahr. - Cap. 30.
Von den Goldhügeln, welche die Ameisen bewachen, und den vier
Flüssen, die aus dem irdischen Paradiese kommen. —
Ich verkenne den Werth mancher naturgeschichtlicher, auch
botanischer Bemerkungen des fahrenden Ritters nicht. Von ägyptischen
Pflanzen unterandern sagt er cap. 5 manches völlig naturgemäss.
Aber vieles der Art nahm er wörtlich aus des Odoricus
Reise, wie die Nachricht von der Manna, vom Pfeifer, von dem
Mehl- Honig- und Giftbaum, so auch die Fabel von dem Melonen-
(bei Odoricus Kürbis-) B^um, aus dessen Früchten wollige Tbiere
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