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4 Bu c h XII. 1.
ältern Uebersetzungen, wie sie geratlien sein mochten, nebst arabischen
Commentaren über verschiedene seiner Werke entzündet,
denn die Zeit begünstigte sie. Längst hatte sich bei begabteren
Männern das Bedürfniss geregt, v e r n ü n f t i g zu begreifen, was
zu glauben die Kirche gebot, und ein lebendiges religiöses Gefühl
sich gern aneignete. Längst war auch unter den Scholastikern der
Streit der sogenannten Nominalisten und Realisten entbrannt,
die sich beiderseits, ohne mehr als die logischen Schriften des
Aristoteles zu kennen, die ächten Peripathetiker dünkten. Daher
die Begierde, mit der man seinen übrigen Schriften nachfragte,
der Eifer, mit dem man sie ergrifF, die unerhörte Wirkung, die
sie hervorbrachten. Die Meisten, des eigenen Denkens entwöhnt,
staunten wie über ein Wunder über die Kühnheit und Sicherheit
der Forschung, ja über die Möglichkeit, dass der menschliche
Geist auch ohne Offenbarung Wahrheit zu erkennen fähig sei.
Die wenigen Selbstdenker erkannten doch mit hoher Befriedigung
in Aristoreles ihren Meister. Auf einmal liess sich zwar das gewohnte
Gängelband der Auctorität nicht abwerfen. Offenbarung
und Kirchenlehre, welche man kaum unterschied, galten auch den
verwegensten Denkern als Kanon der Wahrheit, und unbedenklich
erwart^'ete man von der Philosophie dieselben Resultate, zu welchen
die Kirche gelangt war. So geschah es, dass man den Aristoteles,
den unübertrefflichen Philosophen, als zweite fast gleich berechtigte
Auctorität neben die der Kirche stellte, und in seiner Speculation
die philosophische Bestätigung des katholischen Dogmas zu finden
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Gleichgültig gegen solche Neuerungen verhielt sich die ivircne
selbst nicht"', sie trat ihnen zumal in P a r i s , dem Haupttummelplatze
theologisch-scholastischer Disputationen , den sie vor andern
stets im Auge behielt, mehrmals schroff genug entgegen: sie zu
unterdrücken, war sie, vor welcher Kaiser und Könige zitterten,
trotz Interdicten und Scheiterhaufen zu schwach. Jean de Launoy,
der gelehrte Vertheidiger der gallicanischen Kirche, von dem
man sagte, seine Kritik merze alle Jahr einen Heiligen aus, widmete
diesem Gegenstande vor zwei hundert Jahren eme eigene
B u c h XIL §. L 5
Schrift i), die, fünf Mal gedruckt, und vielfältig benutzt, doch erst
vor hurzem durch Jourdain eine wesentliche Berichtigung erfuhr.
Im Jahr 1209 hatte eine durch den Erzbischof von Sens zu Paris
sehakene Provincialsynode gegen verschiedene Ketzer und ketzerische
Schriften ein sehr hartes Urtheil gefällt, worin unterandern
die Worte vorkommen: „nec l ibr i Ar istotel i s de naturali
p h i l o s o p h i a , nee commenta legantur Parisiis^ publice vel
secreto. Et hoc sub poena excommunicationis inhibemus." So
lautet das Original). Launoy, der dasselbe nicht kannte, hielt
sich an die Zeugnisse zweier fast gleichzeitiger Geschichtsschreiber,
deren einer, R i g o r d , sich also ausdrückt: „In diebus illis
(1209) legebantur Parisiis libelli quidam de Aristotele, ut dicebantur,
compositi, qui docebant Me t a p h y s i c am, delati de novo a
Constantinopoli et a Gracco in Latinum translati, qui, quoniam
non solum haeresi (Almarici) sententiis subtilibus occasionem praebebant,
immo et aliis nondum inventis praebere poterant, jussi sunt
omnes comburi, et sub poena excommunicationis cautum est in
eodem Concilio, nequis eos de cetero scribere et legere praesumet,
vel quocunque modo habere." Der andere, Hugo, nennt dagegen
die Bücher des Aristoteles: „qui de natural i philosophia
inscripti sunt, et ante paucos annos ;Parisiis coeperant lectitan,"
und lässt sie nur auf die Zeit von drei Jahren verbieten. Diese
Abweichungen der beiden Berichterstatter von einander führien
zu mancheriei Auslegungen, bis Jourdain das ganz vernachlässigte
Original wieder hervorzog, und den Beweis lieferte, dass jenes
Urtheil des pariser Coneils gar kein achtes aristotelisches Werk,
sondern das ihm untergeschobene von Al f a r abius ins Arabische,
später ins Lateinische übersetzte Werk de causis^), nebst dem
C o m m e n t a r des Avicenna über des Aristoteles Physika und
Metaphysika getroffen habe, worin man freilich ächt aristotelische
1) Jo, de Launoy de varia Aristotelis fortuna in academia Parisien si. Paris
1653 und 16C2, Hagae-Comitum 1656, Wittemherg 1720, und in der Ausgabe
seiner sämmtlichen Werke Colon. Allobrog. Tom. IV, 1131.
2) Mar tene et Durand thesaurus novus anecdotorum, Tom. IV, pag. 163.
3) Darüber sehe man Jourdain Seite 297 ff.