290 B u c h XV. §. 40. B u c h XV. i 40.
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Beträchtliche Fortschritte machte dagegen die specielle
B o t a n i k in dem Maass, in welchem man nach und nach das
Vorurtheil überwandt, schon die Alten hätten die Fülle des ganzen
Pflanzenreichs erschöpft.
Gründlicher und schneller, sollte man glauben, hätte nichts
jenes Vorurtheil vernichten müssen, als Reisen in Länder mit einer
sehr verschiedenen Flora: die Geschichte zeigt das Gegentheil.
Vorzugsweise blieb der Orient noch immer das Ziel derer, welche
botanlache Entdeckungsreisen unternahmen, und ihr erklärter Zweck
war eben das Aufsuchen der Pflanzen der Alten an den von diesen
selbst angegebennen Standorten. Aber auch bei Reisen nach
Ost- und Westindien beschränkte sich die Aufmerksamkeit der
frühern Berichterstatter fast nur auf Heil- und Nahrungspflanzen, selbst
in Brasilien wähnte man die Pflanzen des Dioskorides wiederzufinden.
Die grossen geographischen Entdeckungen Eroberungen
und Niederlassungen der Portugiesen und Spanier in beiden Indien,
die grossentheils schon ins fünfzehnte Jahrhundert fielen, und eine
unermessliche Wirkung auf ganz Europa ausübten, trugen daher
der Botanik selbst noch in dieser Periode nur spärliche Frucht.
Unserm Deutschland und den schon bezeichneten damit verwandten
Ländern war es vorbehalten, die specielle Botanik endlich
in die rechte Bahn zu leiten. Immer häufiger ward hier die Untersuchung
des Pflanzenreichthums beschränkter heimathlicher Gegenden;
es entstanden der Sache nach Specialfloren, wiewohl der
Form nach unsern spätem Floren meist noch sehr unähnlich. Denn
wenn ich Clusius ausnehme, der seine in Spanien und später seine
in Ungarn und den österreichschen Gebirgsgegenden selbst gemachten
Entdeckungen mit Ausschluss alles Fremden in zwei besondern
Werken beschrieb; so gaben die übrigen Botaniker ihre
Specialfloren fast alle in der seltsamen Gestalt allgemeinei, das
ganze bekannte Pflanzenreich umfassender Kräuterbücher, das heisst
sie copirten ihre Vorgänger, bereicherten aber ihre Werke mit
sorgfältigeren Beschreibungen und meist auch treueren Abbildungen'
derjenigen Pflanzen, die sie in ihrer Heimath selbst genauer zu
beobachten Gelegenheit hatten. So wuchs die Zahl der genaitei
bekannten Pflanzen in kurzer Zeit ausserordentlich. Die erste
Frage blieb zwar für lange Zeit bei jeder neuen Entdeckung noch
immer, ob sie nicht dennoch schon von den Alten gemacht sei;
und überzeugte man sich endlich von ihrer Neuheit, so stellte man
sich die zweite Frage: welche Heilkräfte besitzt die Pflanze ? nahm
leichtgläubig auf, was Hirten Kräuterweiber oder Quacksalber darüber
aussagten, oder erschöpfte sich in Muthmassungen, gestützt
auf den Geruch Geschmack oder gar auf die sogenannte Signatura
rerum, die wir bei P o r t a in höchster Ausbildung werden kennen
lernen. Wenige experimentirten über die Heilkräfte der Pflanzen
wie Konrad Gesner an ihrem eignen Leibe. Wir dürfen aber,
um dies Verfahren richtig zu beurtheilen, nicht vergessen, dass
die medicinische Wirkung bei den mangelhaften Beschreibungen
der Alten oft das einzige einigermassen zuverlässige Kennzeichen
ihrer Pflanzen darbot. So sagte sich die Pflanzenkunde auch in
Deutschland nicht auf einmal los vom lang gewohnten Dienst der
Heilmittellehre, indess lockerten sich die Fesseln allmälig, eine
Pflanze, die man bei den Alten nicht angegeben fand, und der
man keine Heilkräfte zuzuschreiben wusste, blieb darum nicht mehr
wie sonst unbeachtet, und die Menge solcher Pflanzen mehrte sich
von Jahr zu Jahr.
Nicht so bei den Italiänern, die bisher allen Nationen in der
Botanik vorausgeeilt waren. Schritt auch der Geist der Beobachtung
in Italien gleichfalls fort, so blieb er doch jetzt gegen Deutschland
eine Zeit lang auffallend zurück. Mag das zum Theil ein
Spiel des Zufalls sein, indem vorzüglich begabte Männer, die der
Wissenschaft einen unerwarteten Impuls geben, auch wohl einmal
unter minder günstigen Umgebungen plötzlich hervortreten können,
und gewann auch Italien in der nächst folgenden Periode sein
altes Uebergewicht noch einmal wieder: so lassen sich doch in
unserm Fall mehrere Momente nachweisen, die den raschen Aufschwung
der Botanik in den Nordländern vollständig erklären. In
Italien hatte die klassische Literatur alle Männer von Geist für
den Augenblick gleichsam berauscht, und jedes andere Interesse
abgestumpft. Selbst Staatsmänner wählte und wog man Vorzugs-
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