120 B u c h XIII. Kap. 2. §.13. B u c h XIII. Kap. 2. §. 13. 121
geschrieben ward. Es ist von grossem Gewicht, und Zurla nimmt
es, indem er die Gegengründe mit vieler Gelehrsamkeit prüft, vollständig
in Schutz.
Gleichwohl beruht die entgegengesetzte Meinung, das Original
sei i t a l i äni s c h abgefasst, welche zuerst von E cha rd^) ausgesprochen
ward, ebenfalls auf starken Gründen, und scheint j e länger
desto mehr Anhänger zu gewinnen. Den Genuesen, der nach Ramusio
die Reise lateinisch niedergeschrieben, weil das in Genua
so Gebrauch war, kennt keine jetzt noch bekannte Handschrift.
Dagegen nennen mehrere einen Mitgefangenen Marco's, den Pisaner
Rus t ichel lus (nach dem luteinischen Text des Recueil de
voyages) oder Rus t i c i ans (nach dem französischen Text jener
Sammlung) oder Rus c a (nach dem französischen Text einer zu
Bern befindlichen Handschrift, bei Zurla I , pag. 36), ohne der
Sprache, in der er schrieb, zu gedenken. Auch giebt sich keine
der jetzt bekannten zahlreichen italiäriischen Handschriften und
Ausgaben vor Ramusio für eine Uebersetzung aus. Dasselbe gilt
zwar auch von den lateinischen, die Uebersetzung Pipin's ausgenommen;
hat also nach keiner Seite hin entscheidende Beweiskraft;
aber auch Pipinus, dessen Vorrede Echard nach einer pariser
Handschrift lateinisch abdrucken liess, und Ramusio nicht ganz
gleichlautend seiner Ausgabe itahänisch voranschickte, spricht nur
von dem italiänischen Text, den er auf Antrieb seiner Brüder und
Vorgesetzten ins Lateinische übersetzt habe, weil dieselben ihn in
dieser Sprache zu lesen vorzögen, und sagt kein Wort von einem
schon vorhandenen lateinischen Original und den Schwierigkeiten,
die er gefunden, sich dasselbe zu verschaffen. Wie lässt sich nun
eine solche Schwierigkeit denken bei der weiten Verbreitung dem
grossen Ansehen des damals kräftig aufgeblüheten ungemein thätigen
und gelehrten Dominicaner-Ordens, sobald dessen Lenker
einen lateinischen Marco Polo zum Zweck der Propaganda wünschten?
Fast-möchte ich glauben, Ramusio hätte den von Pipinus
1) Quetif et Echard^ scriptores ordinis Praedicatorum^ l^pag, 539 sqq,^
im Artikel Fr anciscus Fipiniis,
gebrauchten Ausdruck: ,,de vulgari in Latinum reducere compellor,'^
missverstanden, und auf eine Rücküber setzung gedeutet,
gebrauchte er nicht statt dessen in seiner eignen etwas freien
italiänischen Uebersetzung den Ausdruck tradurrò, der einem
solchen Missverständniss widerspricht.
Merkwürdig sind auch die mancherlei Abweichungen der verschiedenen
lateinischen italiänischen und sonstigen Texte unter
einander. In so fern sie die Schreibung fremder Namen die
Kapiteleintheilung und dergleichen betreffen, mag man sie durch
Nachlässigkeit der Abschreiber und Uebersetzer erklären; allein
sie gehen weiter, ganze Kapitel, die man ihrem Inhalte nach für
acht halten muss, hat bald dieser bald jener Text vor andern voraus.
Daher die jetzt fast allgemein angenommene Vermuthung,
Marco Polo selbst habe zu verschiedenen Zeiten verschiedenen Abschriften
seines Werks Zusätze gegeben. Sie erklärt viele sonst
unlösliche Räthsel, und hat nicht die mindeste Schwierigkeit, vorausgesetzt,
dass er sein Werk in seiner Muttersprache in Händen
hatte. Um so weniger reimt sie sich mit der Annahme eines lateinischen
Textes, den er selbst zu lesen und folglich auch zu ändern
unfähig war. Mir scheint dieser meines Wissens noch nicht hervorgehobene
Widerspruch keinen der schlechtesten Gründe für
e i n i t a l i ä n i s c h e s Original abzugeben. Ist das alles noch nicht
entscheidend, so rechtfertigt es wenigstens den Vorzug, den man
dem nach zahlreichen Handschriften corrigirten italiänischen Text
des Ramusio zu geben pflegt, und den ihm, nicht ganz consequent,
sogar Zurla selbst, der eifrigste Vertheidiger eines lateinischen
Originals, einräumt. Doch will ich nicht unbemerkt lassen, dass
eine der drei wolfenbütteler lateinischen Handschriften nach Lessing
a. a. O bis auf geringe Differenzen eine auffallende Uebereinstimmung
mit Ramusio's italiänischem Text darbieten soll, dass Lessing
in ihr das lateinische Original des Ramusio gefunden zu haben
wenigstens vermuthete, dass er Proben daraus mittheilte, die von
allen sonst bekannten lateinischen Texten abweichen, und endlich
dass diese Handschrift nach ihm noch von niemand näher untersucht,
geschweige denn benutzt ward.