
jeden von der Religion und Moral verbotenen That fähig.
Auch empfahl er mir ganz besonders an, recht sehr Acht
zu haben, wem ich den Zutritt in meine Wohnung gestatte,
indem ich gegen Diebereien aller Art nicht genug auf
meiner Hut seyn könne.
Nach der Heimkehr von dieser Audienz nahm Getana
Meriam von uns Abschied, um seiner Handelsgesellschaft
nachzueilen, die nördlich vom Schneeberge Buahat gezogen
war. Er hatte mir auf der gemeinschaftlichen Reise
sehr wesentliche Dienste geleistet, wenn er auch, so oft
ich bei Zollzahlungen der ganzen Karavane mit betliei-
liget war, nie sein pecuniäres Interesse ausser Acht gelassen
hatte;, und ich gab ihm daher, als ein Zeichen
meiner Dankbarkeit ein zweites Stück feines Scharlachtuch
*) und liess ihm von dem ihm zu Massaua übergebenen
Gelde fünfzig Species-Thaler nach. Obgleich er
mit beiden Geschenken ungemein zufrieden war, so konnte
er doch beim Weggehen seinen Nationalcharakter nicht
verläugnen, und liess nach abyssinischer Art nicht ab,
mich um Geschenke zu bestürmen, bis ich ihm noch ein
Paar Pistolen, etwas feines Schiesspülver, eine Partie
der schönen in Egypten gefertigten blauseidenen Schnüre
und Anderes mehr schenkte.
Am folgenden Morgen erschien schon in aller Frühe
ein Diener des Gouverneurs in meiner Wohnung, um mir
zu sagen, dass sein Herr mich, zum Behuf der ärztlichen
Behandlung seines Beines, erst am Nachmittag erwarte,
weil er den ganzen Vormittag die tägliche Gerichtsversammlung
zu leiten habe, welche, wie oben bemerkt, auf
*) Das crste Stück Scharlachtuch hatte ich ihm bereits in Massaua
geschenkt.
einer Anhöhe unter freiem Himmel abgehalten wird.
Obgleich es nun um die festgesetzte Zeit des Nachmittags
stark regnete und meine Wohnung von der des Gouverneurs
eine Viertel-Stunde entfernt war, so ward doch
ein neuer Bote mit der Mahnung, dass ich erwartet werde,
an mich geschickt. Ich fand seine abyssinische Excellenz
wieder auf dem Ruhebette liegend und von einigen angesehenen
Personen der Umgegend umgeben, welche die
Zeit des gewöhnlichen Mahles abwarteten, um an demselben
Theil zu nehmen. Mir zunächst' auf der Erde kam
ein Mann zu sitzen, in welchem ich sogleich einen Priester
erkannte; denn der geistliche Stand unterscheidet sich von
ändern Abyssiniern durch den abgeschornen und mit einem
Tuche turbanähnlich umwundenen Kopf, sowie gewöhnlich
noch durch unbeholfene Schuhe mit sehr breiten Sohlen,
deren Vordertheil lang zugespitzt und aufwärts gekrümmt
ist. Ich weiss nicht, ob dieser Mann zufälliger Weise anwesend
oder ob er vielleicht herbeschieden war, um dem
Zaubereinflusse vorzubeugen, den ich etwa durch Medi-
camente oder durch meine Berührung des entblössten Körpers
des Gouverneurs ausüben könnte.
Ein egyptisches tuchenes Oberkleid, das ich des Regens
wegen umgeworfen hatte, zog dieses Priesters Aufmerksamkeit
ganz besonders auf sich; und bald bat er mich
ohne alle Umstände und trotz der kurzen Zeit unserer Bekanntschaft
geradezu, ich möchte ihm diesen Mantel schenken,
da er ihn für einen Kirchenornat sehr gut gebrauchen
könne. Aehnliche Zumuthungen wiederholen sich in Abys-
sinien sehr häufig; desshalb sind aber auch die Bewohner
dieses Landes an kurze abschlägige Antworten gewöhnt.
Endlich entkleidete sich der Gouverneur, und zwar, obgleich
inmitten einer Plenar-Audienz, vollständig, das heisst