
Als am 4. Juli die Sanne bei ganz reinem Himmel
emporstieg, genossen wir eine der grossartigsten Landschaftsansichten,
welche sehr steil abfallende Höhen mit
pittoresker Umgebung und einem weithin freien Horizonte
nur darbieten können. Die von dem neuerdings gefallenen
Schnee weit abwärts bedeckten Hochgebirge bildeten im
Süden und Westen einen imposanten Halbkreis, während
die im Vergleich mit unserm Standpunct sehr tief liegenden
Gegenden am Takazzö und nach Schirö zu, mit ihren
zahllosen vulkanischen Kegelspitzen und den zwischen ihnen
hindurch fliessenden Strömen den Anblick einer mannich-
faltig belebten Landschaft gewährten. Am entfernten nördlichen
Horizonte zeigte sich die Hochebene von Schiré
und hinter derselben eine Verzweigung der Berge bei
Axum. Der durchaus aus vulkanischer Felsmasse bestehende
schroffe Gebirgskamm, welcher die Provinz Simen
von Ost-Süd-Ost nach West-Nord-West zu begrenzt, umzieht
in seinem weiteren Verlauf in gewissermassen ellip-
soidischer Form den ganzen ungeheuren Dembea-See wie
ein weiter Kesselrand; und der benachbarte Buahat, welcher
die ganze Gruppe überragt, krönt gleichsam den Gebirgs-
kreis mit seiner erhabenen Kuppe. Er ist zugleich ver-
muthlich einer der höchsten Puncte von ganz Abyssinietf.
Dessen ungeachtet aber ist dieser Gebirgskamm nicbt die
Wasserscheide zwischen dem Stromgebiete des Takazzé
und dem eigentlichen Nil, wie irriger Weise auf allen
Karten Abyssiniens angegeben ist; denn man wird in dem
Verlauf des gegenwärtigen Reiseberichts sehen, wie noch
alle an der westlichen und südlichen Seite des Simen-
Gebirgs entspringenden Gewässer sich sämmtlich in dem
gemeinschaftlichen Abflussbette des Bell egas-Stromes
vereinigen, der diese Landschaft in nordsüdlicher Richtung
durchfliesst, sich dann nach Osten zu krümmt, und ungefähr
unter 13y a Grad Breite in den Takazze mündet.
Selbst bis wenige Stunden östlich von G ond ar ergiessen
sich die Gewässer noch in den Bellegas. Die auf der
Nordseite des Simen-Gebirgs liegenden Flüsse haben alle
eine vorzugsweise nordwestliche Richtung, mit Ausnahme
des vielbesprochenen Ataba, der nach Nordost strömt. Alle
in der näheren Umgebung unseres Lagerplatzes entspringenden
Bäche vereinigen sich unterhalb der Stadt Sauana
zu einem gemeinschaftlichen Strome, der den Namen
B o uja trägt. Ihm liegt nach Westen d erB aren tea, ein
nicht unansehnliches Gewässer, zunächst, so wie diesem
der F a ra fe ra ; alle drei Flüsse aber durchlaufen die
Provinz Salemt. Die noch mehr westlich liegenden Ströme,
welche alle in den Provinzen Adarga und Waldubba
fliessen, heissen der Reihe nach, in der Richtung von Osten
nach Westen aufgezählt, A nsou, S erim a, A n zia, T o -
kuko und G alim a. Von den ändern noch weiter nach
derselben Weltgegend gelegenen Nebenflüssen desTakazzö,
die in den Provinzen J a n fa n g a ra und A rm atgioho
entspringen und durch W a lk e it fliessen, werde ich später
gelegentlich reden.
Während das Thermometer um die Mittagsstunde im
Schatten nur 7 — 8V2 Grad Reaumur anzeigte, war die
Temperatur der Luft bei aufgehender Sonne doch noch
vier Grad über dem Gefrierpunct, und unsere Empfindlichkeit
für die Kälte war nicht sonderlich gesteigert, unfehlbar
weil von den mit Schnee bedeckten Nachbargegenden
her kein Luftzug Statt fand. Ich ergreife diese
Gelegenheit, um zu bemerken, dass weder hier noch auf
unserm W^ege über den Gipfel des B u a h a t (dreizehntausend
fünfhundert französische Fuss hoch) irgend Jemand