
die deutlich erkennbaren Lavamassen bilden meist weit
ausgedehnte parallel liegende Lager von wenigen Fuss
Mächtigkeit; sie sind hier ein ganz compactes Gestein und
öfters porphyrartig mit kleinen Feldspath-Krystallen gemischt.
Wir passirten dreimal das Bette des Abana, welcner
fortwährend schäumende Wässerfälle bildet. Zwei und eine
halbe Stunde nach unserer Abreise erblickten wir auf der
Südseite des Wegs den sehr schönen hohen Wassersturz
eines von der Schneeregion der Bergkuppe Abba Ja re t
herabströmenden starken B.aches: dieser Berg selbst war
bis zu wenigstens eintausend fünfhundert Fuss in senkrechter
Linie unter seinem Gipfel dicht mit Schnee bedeckt,
wovon, wie es scheint, ein Theil perenn ist. Die untere
Region des Berges ist ganz ohne Gesträuch und durchaus
mit herrlichen Alpenweiden bedeckt, die aber wenig odei
gar nicht benutzt werden. Unmittelbar um unsern Weg
stand noch vieles dorniges Strauchwerk, namentlich eine
Art wilder Rosen. Die Landschaft hatte fortwährend einen
wild pittoresken, grossartigen Charakter. An einer Stelle
unseres heutigen Weges war der Uebergang wegen Glätte
und Steilheit des Felsens ungemein gefährlich; die Maul-
thiere mussten mit Stricken einzeln aufwärts gezogen
werden, und diese Operation, bei welcher eins durch einen
Sturz in den Abgrund das Leben verlor, verursachte einen
langen Aufenthalt. Während dessen stieg ein dicker, kalter
Nebel auf, der gegen Abend sich in einen noch kälteren
Regen auflösste, und in den höhern Regionen als Schneegestöber
niederfiel. Wir marschirten in allem nur drei
Wegstunden, und lagerten uns an der äussfersten Grenze
der Gesträuchs-Vegetation, auf einem üppigen Wiesengrunde.
Hier wucherte eine mir ganz neue Pflanze von
fremdartiger Gestalt; es war ein hohler, acht Fuss hoher
und armsdicker Markstengel mit einer Krone von grossen,
lanzettförmigen Blättern, aus deren Mitte öfters eine um
fünf Fuss lange Blüthenähre emporragt, deren einzelne
Knospen der Blüthe des Löwenmauls ähneln. Diese der
Vegetation der hiesigen Hochregion ganz eigenthümliche
Pflanze *) heisst bei den Eingebornen G ibarra **). Für
Feuerung oder zu sonstigem technischen Gebrauch untauglich,
dient der lange hohle Markstengel nur der Jugend
als ein der Posaune ähnliches Instrument. Obgleich wir
uns weit über den von Menschen bewohnten Districten
befanden, und das Wetter sehr unfreundlich war, so kamen
doch viele Leute aus den benachbarten Thälern zu uns,
theils aus Neugier, theils um einige Lebensmittel, wie
Milch, Honig und Gerstenbier zu verkaufen, theils um
sich zum Tragen kleiner Lasten über die Höhe anzubieten.
Es war ein durchaus schöner und, wie es schien, kräftiger
Menschenschlag, und besonders zeichneten sich die Frauen
durch schöne Formen des Körpers und des Gesichts aus.
Früher insgesammt Bekenner der jüdischen Religion, wurden
sie nach und nach gezwungen, zum Christenthum über-
zua:ehen, und es sind noch keine fünfzig O / Jahre her, dass diejenigen von ihnen, welche dieser Glaubensänderung
am längsten widerstrebten, Christen wurden. Auffallend ist
bei ihnen der Gebrauch einer Art von ambulantem, aus
Rohrdecken zusammengesetzten Schutzdache, welches die
meisten Bewohner beständig mit sich umhertragen, um ihre
durch dürftige Lumpen nur zum Theil bedeckten Körper
~ *) Siehe eine Abbildung derselben auf Tafel 6. „Vegetation unfern
der Schneegrenze am Selki-Berge.“
**) Sie ward von Dr. Fresenius als eine neue Gattung unter dem
Namen Rhynchopetalum beschrieben.
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