
welche das Leben der Jungfrau Maria, die vier Evangelisten,
die Psalmen und eine Art von Diarium oder chronologischen
Notizen über die Capelle enthielten. Das letztere
war das Einzige von diesen Manuscripten, in dessen
Besitz ich gerne gekommen wäre; meine dessfallsigen Anerbietungen
fanden aber keinen Anklang. In demselben
stand unter anderm, dass diese Capelle Bead Christos, das
ist das Haus Christi, heisse, und von dem Eremiten Abba
Libanos gestiftet sey, der auf eine wunderbare Art die hier
befindliche Quelle geschaffen habe. Die Zeit der Gründung
war nicht bemerkt; dagegen zeigte man mir einen
eisernen, an seinem Ende mit einem Kreuze versehenen
Stab, mit welchem das angebliche Wunder der Hervorbringung
der Quelle verrichtet wurde. Vor dem Eingang
der Capelle war ein freier Raum in die Felsen gehauen,
der so gross war, dass man auf ihm ein kleines Zelt auf-
schlagen konnte, und, wie man erzählte, den abyssinischen
Fürsten zum Lagerplatz diente, wenn sie zur Wallfahrt
hierher kamen. Auch suchten mich die Pfaffen glauben
zu machen, dass vor Zeiten die Capelle viele goldne
Opfergefässe und Crucifixe besessen habe, die aber im
Zeitlauf der Bürgerkriege entwendet worden wären. Von
Inschriften oder sonst etwas Bemerkenswe'rthem war nichts
vorhanden.
Am Fusse der Felswand liegt das Dorf Gun na K uma,
dessen Hütten unter schönen, schattigen Bäumen zerstreuet
sind, die ihre Erhaltung der Heiligkeit des Ortes verdanken.
In jenen wohnen ziemlich viele sogenannte Nonnen,
die ihren Lebensunterhalt grossentheils durch Betteln erhalten.
Auch ich gab einen Thaler Geschenk an die Pfaffen
der Capelle, wofür sie einen besondern Segen über mich
und meine Reisegesellschaft sprachen. Auf dem Rückwege
nach unserm Lagerplatz besuchten wir noch das im Westen
gelegene Dorf B arak a, hinter welchem in einer engen
romantischen Felsschlucht, durch die ein Bach rieselt, eine
Capelle unter einem colossalen überhängenden Sandsteinfelsen
erbaut ist; schöne Gruppen von Sykomoren und
ändern grossen Bäumen verleihen diesem ganz versteckt
liegenden Thale einen besondern Reiz, und überraschen
um so mehr, da man in dieser Gegend alte Bäume nicht zu
sehen gewohnt ist. Die Capelle war im Innern ganz der
von Bead Christos ähnlich. Bei derselben, unter dem Felsenüberhang
zeigt man eine theilweise zugemauerte Höhle,
in welcher der Stifter dieser Einsiedelei sein Leben zubrachte,
indem er sich seine Nahrung durch eine kleine
Oeffnung reichen liess. Bei der Höhle lag ein aus einem
Sykomor-Stamme gezimmerter Sarg, der einer unverzier-
ten egyptischen Mumienkiste ähnlich war. Auch diese
Capelle hatte, ausser einigen testamentlichen Schriften,
ihr eigenes historisches Notizbuch, und in demselben stand,
dass der hier verstorbene heilige Stifter derselben ein in
Rum (Griechenland) gebürtiger Mann gewesen sey, w'elcher
unter der Regierung des abyssinischen Kaisers Kaleb (im
siebenten Jahrhundert) in die dortige Gegend gekommen
wäre, viele Wunder verrichtet habe, und sich zuletzt in
jene Höhle habe einmauern lassen, um hier den Rest seiner
Tage zu verleben. Sonderbar genug hatte man vergessen,
den Namen dieses Heiligen in dem Buch anzugeben.
Uebrigens muss ich bemerken, dass dieses und vermuthlich
alle ähnliche abyssinische Manuscripte im sechszehnten Jahrhundert
nach Traditionen niedergeschrieben wurden, weil
einige Zeit vorher alle vorhandenen Bücher von dem fanatischen
Mahommetaner M eham etG ragneverbrannt worden
waren, als derselbe fast das ganze Land erobert hatte.