
hielten. Man wird es kaum glauben, dass mehrere meiner
Reisegefährten darauf den Eingebornen vorredeten, die
von mir ihnen angebotenen Schnüre seyen nicht von Seide
gefertiget, sondern nur eine geschickte Nachahmung dieses
Stoffes, und diese würden desshalb nach kurzem Gebrauch
in Stücken fallen, was dagegen bei den ihrigen bekann-
termassen nie der Fall sey. Unter den Käufern befanden
sich viele Frauen, welche durch Abscheu erregende Kropfauswüchse
entstellt waren; diese Krankheit scheint hier
zu Lande ebenso wie in Europa in den Gegenden, wo
fortwährend geschmolzenes Schneewasser getrunken wird,
endemisch zu seyn. *)
Die Eingebornen der Umgegend sprachen mir viel von
einem vierfüssigen Thier, welches die Aipenweiden der
höchsten Gebirge unfern der Schneeregion bewohne, aber
ungemein scheu sey. Wie die Abyssinier-.alles, worüber
Beobachtungen schwer zu machen sind, durch Mährchen
ausschmücken, so faseln sie auch über dieses Thier viel;
und ich theile geflissentlich ihre Erzählungen von demselben
mit, um damit die grosse Leichtgläubigkeit dieses
Volkes zu bezeichnen, .von der selbst diejenigen, die auf
Bildung Anspruch machen, nicht frei sind. Dieses im höchsten
Grad scheue Thier, W alie genannt — so erzählen
sie — hat sehr lange, krumme und dicke Hörner und einen
Bart am Kinn, stellt sich oft auf zwei Beine, ähnelt im
Ganzen, einer colossalen Ziege, und ist besonders wegen
*) Ich werde später bei der Beschreibung’ von Gondar von kleinen
Kröpfen sprechen, welche in dieser Stadt öfters Vorkommen. Diese
sind lymphatischer N atur, rühren höchst wahrscheinlich grossentheils
aus den von vernachlässigter Krätze verursachten bösen Säften her,
und haben auf jeden Fall mit dem bei der Schneeregion von Simen
vorkommenden Cretinismus nichts gemein.
der Erziehungsweise seiner Jungen merkwürdig. Die Mutter
hat nämlich unter dem Bauch einen nach hinten zu geöffneten
Sack, in welchem das Junge eine Zeitlang lebt. Dieses
nährt sich dadurch , dass es von Zeit- zu Zeit seinen
Kopf aus jenem Loche herausstreckt und auf der Erde
graset. Zu sehen ist dasselbe in diesem Zustande nicht,
indem es sehr scheu ist und bei dem geringsten Geräusch
sich ganz in seine natürliche Schutzhülle zurückzieht. So
lebt das junge Thier Wochen lang, bis es endlich zu gross
geworden ist und in jenem lebendigen Kerker nicht mehr
Raum genug hat. Nun drängt es sich heraus, und sobald
diess geschehen ist, laufen das junge Thier und seine
Mutter, ohne sich näher kennen zu lernen, in entgegengesetzter
Richtung von einander weg, um sich nie wieder
zu sehen. Wie sehr würde nicht mancher europäische
Naturforscher über dieses gehörnte känguruh-artige Geschöpf
zu grübeln haben, wenn er der vorstehenden, von
allen Abyssiniern hoch und theuer als wahr beschvrornen
Erzählung Glauben schenken wollte! Und doch ist diese
so wundersam geschilderte Walie nichts anders als ein
schöner Steinbock von einer nicht im mindesten von dem
allgemeinen Charakter der Gattung abweichenden Körperbildung
und Lebensweise. Eine getreue Abbildung dieser
seither unbekannten Steinbocksart findet man in meiner
abyssinischen Fauna (Säugethiere Tafel 6 ).
Nachdem wir am 28. Juni zw'ei Stunden lang in "südwestlicher
Richtung', unter ähnlichen Verhältnissen der
uns umgebenden Natur wie am gestrigen Tage, längs des
Siidufers des Ataba gezogen waren, passirten wir diesen
Strom etwas oberhalb seiner Vereinigung mit demAbana,
einem in Betreff seiner Wassermenge jenem ganz gleichen
Flusse. Derselbe zieht von Wesi-Nord-West her, während