
so dass sie ihm die Verfechtung ihrer gemeinschaftlichen
Interessen anvertrauten. Die Nützlichkeit und selbst Noth-
wendigkeit, mir einen solchen Mann zu befreunden, sprang
mir nach einiger Unterredung mit ihm alsbald in die Augen.
Ich gab mir daher Mühe, ihn für mich zu gewinnen,
und suchte ihn vor allem zu überzeugen, dass meiner
projectirten Reise nach A byssinien durchaus keine Idee
einer Handelsspeculation zu Grunde lieg-e, indem ich ihm
meinen Zweck und Plan ohne Rückhalt vorlegte. Getana
Meriam schilderte mir dagegen unverholen die mancherlei
Schwierigkeiten, mit welchen gerade jetzt ein Europäer
in seinem Vaterlande zu kämpfen habe, indem daselbst so
zu sagen nirgends eine gesetzliche Regierung bestehe. Er
erklärte mir, dass, wenn er mich auch durch seine Gesellschaft
gegen die allzu grossen willkührlicben Erpressungen
der kleinen Häuptlinge zu schützen hoffe, er doch nicht
das Gleiche in Betreff der angeseheneren und mächtigeren
versprechen könne, indem jeder von ihnen nicht allein von
mir und meinen Leuten zu seinen eigenen Zwecken würde
Gebrauch machen wollen, sondern auch eine etwaige Plünderung
oder Festhaltung meiner damit entschuldigen würde,
dass er dadurch seinem Gegner die Mittel nehme, ein
Gleiches zu thun.
Getana Meriam gab mir über die damalige politische
Lage des östlichen Abyssiniens folgende historische Schilderung,
in welcher ich zugleich die einzelnen genaueren
Data, wie ich sie später bei meinen in Gondar gemachten
Forschungen kennen lernte, einweben will. Die Unfähigkeit
der zu Gondar residirenden Kaiser, welche bekannte
lieh von den sogenannten Grossbeamten des Reichs immer
aus. einer nämlichen alten Fürstenfamilie gewählt werden,
hat, in Folge dieser Wahlverfassung, nach und nach (jas
ganze Land zum Spielball des Ehrgeizes der einzelnen
Statthalter gemacht, und schon längst gelangen Letztere
nicht mehr durch die Ernennung der Kaiser, sondern durch
das Waffenglück zu der Verwaltung der einzelnen Provinzen.
Unter sich liegen diese verschiedenen, eigentlich
ganz unabhängigen Statthalter fortwährend in eifersüchtigem
Kampfe: ein Verhältniss, das früherhin die Kaiser
selbst hervorriefen oder aufrecht erhielten, um die einzelnen
Parteien zu schwächen. Dagegen haben aber auch
die verschiedenen Statthalter sich das Recht angemasst,
Gegenkaiser zu ernennen und die ihnen missfälligen Thronbesitzer
zur Abdankung zu zwingen; und indem sie über-
diess nach und nach alle Tributzahlungf einstellten, h^ben
sie das Ansehen und die Macht der Throninhaber so herabgewürdigt,
dass sich jetzt das ganze Einkommen derselben
auf einen Jahrgehält von dreihundert Species-Thalern beläuft,
#) und der Kaiser nicht den geringsten Einfluss auf
die politischen Verhältnisse des Landes hat. Eine Hauptabtheilung
von Abyssinien, die Provinz Tigré, welche
zwischen dem rothen Meere und dem Takazzé-Strome gelegen
ist, beherrschte zu Bruce’s Zeiten (im Jahr 1769)
ein bereits damals fast ganz unabhängiger Statthalter,
R as M ichael mit Namen. Nachdem derselbe durch den
Statthalter der Provinz Lasta, Detjatsch Wend Bowosen,
besiegt und gefangen worden war (4. Juni 1771), bemächtigte
sich der Befehlshaber von Temben, Detjatsch Kefla
Jesus, der Provinz Tigré. Dieser bat, um sich in seinem
*) Um sich von der Wandelbarkeit der abyssinisclien Kaiserwürde
eine Vorstellung- machen zu können, bemerke ich im Vorbeigehen,
dass seit dem Abdanken des Kaisers Teckla Haimanot (1778) bis zum
Jahre 1833, vierzehn verschiedene Fürsten zweiundzwanzig Mal als
Kaiser in Gondar auf dem Throne gesessen haben.