
Unser Marsclv am 26. Juni brachte uns in eine Landschaft,
welche ganz den Charakter der schöneren europäischen
Hochgebirgspartieen hatte. Ein mit kleinen Wiesenstrecken
abwechselndes niederes Gehölz, welches in
üppiger Vegetation dastand, und murmelnde, von der
Felswand herabstürzende Bäche, bildeten den reizenden
schönen Vordergrund, durch dessen Mitte der Ataba-
Strom sich schäumend hinschlängelt. Coulissenartig springen
auf den Seiten die Höhen mit Nebenthälern hervor,
welche theils beholzt, theils mit einem grünen Teppich
der schönsten Gerstensaat bedeckt sind. Das Ganze aber
umgibt amphitheatralisch ein Kranz von hohen Bergen,
deren schneeige Gipfel über fette Alpenweiden hervorragen.
Bald erweitert sich das Hauptthal etwas nach Südwesten
zu, und nun zeigt sich in pittoresker Gestalt der weit
herab mit Eis bedeckte Berg A bba J a r e t, einer der
höchsten der ganzen Kette. Wasserreiche Cascaden umgeben
auf beiden Seiten den Ataba, um ihm den Tribut
der Berge zu bringen, und hier und da schmückt eine
ehrwürdige Baumgruppe die grasreichen Ufer desselben.
Ueber der ganzen Landschaft aber schwebte das herrliche,
ganz reine Lazur-Gewölbe des Himmels tropischer Hoch-
gebirgsregionen. Kurz, Alles vergegenwärtigt hier den
Charakter der Hochalpen Europa’s, und es fehlten nur die
malerisch gelegenen Sennhütten, die zerstreut weidenden
Herden fetter Kühe und die Schweizer 'Hirten mit ihrer
zierlichen Nationaltracht, um die Eindrücke meiner Alpen-
Reisen mir auf das Lebhafteste in die Erinnerung zurückzurufen.
Nach drei Stunden Wegs durchwateten wir den Ataba-
Strom, um uns dem gleichnamigen Orte gegenüber niederzulassen,
dessen Hütten oben auf einer Alpe zwischen
Wiesen und Gerstenfeldern liegen. Das zu Tackeraggiro
erkaufte Maulthier, dem die mir immer neue Plage verursachende
Glocke war aufgebürdet worden, blieb heute
in einer tiefgewühlten Bergschlucht liegen, und musste
verlassen werden *>. Da wir uns nun in dem eigentlichen
Stammlande des Detjatsch Ubi befanden, so entschloss ich
mich, jenes für diesen Häuptling bestimmte Geschenk der
Glocke hier abzugeben. Dieselbe ward in Gegenwart der
hiesigen Geistlichen und Zollbeamten an einen Baum befestigt
und, nachdem ein schriftlicher Act über diese Deposition
mit Zuziehung mehrerer Zeugen von dem Geistlichen
war ausgefertiget worden, für ein den getreuen
Dienern Ubi’s zum Aufbewahren anvertrautes Geschenk
erklärt. Man fing nun an die Glocke zu läuten, und herr-
*) Um meine Erzählung nicht durch Jeremiaden über das Missgeschick
, das ich in Betreff meiner Maulthiere auszustehen hatte, zu
unterbrechen, will ich hier bemerken, dass ich zwei derselben schon
früher verloren hatte und später noch zwei andere wegen Entkräftung
zurücklassen musste, somit also auf dem Wege zwischen Haiai und
Simen von acht Lastthieren fünf einbüsste. Meine Esel dagegen hielten,
mit Ausnahme eines, der in eine Schlucht der Kulla stürzte, wahrend
der ganzen abyssinischen Reise hin und zurück wacker aus.
Diese Thiere wären gewiss auf Reisen in Abyssinien das beste Vehikel,
wenn nicht der Umstand obwaltete, dass bei Zollzahlungen, die immer
nach der Zahl, aber nicht nach Gewicht oder Werth der Ladungen
bestimmt werden, zwischen einem Esel und einem Maulthiere, ja selbst
einem Ochsen, kein Unterschied gemacht würde. Ein Kaufmann der
Karavane hatte unterwegs in Ermangelung eines Maulthiers einen
Ochsen gekauft und mit einer schweren Last beladen, und dieses Thier,
welches nur ein Drittel des gewöhnlichen Preises von jenem kostete,
erwies sich bis nach Gondar als ein vortreffliches Lastthier; nur hat
diese Art der Fortschaffung den Nachtheil, dass jeder beladene Ochse
einen eigenen Treiber erfordert, indem das Thier sonst sehr oft stehen
bleibt.