derten Steinen, zusehends ans grauer Zeit, noch merkwürdiger
vor als früherhin. Zwischen Kalönieh und Jerusalem
- fand ich an Weibern, die vom Markte zurückkehrten, besonderes
Wolgefallen. Sie sangen im Zuge nach dem häuslichen
JJerde rfesponsorisch. Unter dem hartem Joche schwindet
Freude und verstummt Gesang; mithin muss das Leben dieser
Leute erträglich sein. Man stelle sich bei uns Marktweiber
vor, die sich gruppiren und heim wandelnd ein Lied
absingen. Wären denn das nicht schöne Szenen? Könnte
oder sollte man denn die Orientalinnen nicht wenigstens
hi e r in nachahmen? Unsere Sängerinnen gingen bloss in
blauen Hemden, Schwereres auf dem Kopfe und Leichteres
gegürtet unter dem Hemdeschlitze tragend. Da der Bauchgürtel
nie fehlt, so gestaltet sich über ihm das Hemd zu
einem Sacke. Dies trägt jedoch nicht wenig zur Entstellüng
der weiblichen Figur bei, namentlich dann, wenn viel eingepackt
wird, und man lasse sich dadurch nicht über die
Busenwölbung täuschen, welcher der verborgene Pack hin
und wieder ähnelt.
Beim Anblicke des Ölberges stieg ich ab, gleichwie ich
über einen grossen Theil des Gebirges meine Füsse erproben
wollte, nicht folgend dem Beispiele frommer Wallfahrer, die
in De - und Wehmuth auf stolzem Ross in die heilige Stadt
reiten und dann noch zu guter Letzt fromme Phrasen in die
Welt hinausschreiben. Bei der Annäherung gegen Jerusalem
fühlte ich den Hauch des Andersgewordenseins. Nördlich in
geringer Entfernung von der Strasse stehen Landwohnungen
da, wo die Erde gleichsam wüste lag; gegen Mittag überraschen
die weiss getünchten stattlichen Gebäude von H. Kreuz.
Die traurige Gegend von Mär Dschiris über dem Westrande des
Mittelthals Hinnom abendwärts bis zu den Mühlen Ibrahim
Pascha’s hat menschlicher Verstand und Fleiss in einen Garten
umgeschaffen, und würden die mohammedanischen Mamillagrä-
ber wie Ackerflüche (Geschiebe) dem Pfluge keine Hindernisse
machen, der ganze Schooss des Oberthaies Ben Hinnom könnte
den Pilger ebenso freundlich bewillkommen. Bei der Stadtmauer
nahe dem Jafathore wirft man den Blick auf ein neues'
Gebäude, ein Kaffeehaus von guteiü Aussehen, und wenn etwa
Jemand zu spät ans Thor käme, so fände er jetzt wenigstens
Herberge, während er früher mehr oder minder gequält war.
Südlich neben der Citadelle fällt die anglikanische Christuskirche
allerdings auf, immerhin aber nicht in dem Grade, al$
man erwartet. Sie ist nicht hoch genug, um stärker zu impo-
niren, und ihr fehlt der Alles überragende Mahner des Christen,
ein Thurm. Tiefer fixirt die Aufmerksamkeit das neue, schöne,
stufig sich erhebende Schulhaus der Anglikaner im Südwesten
des Berges Zion, gleich über dem Thale Hinnom. Dunkel-
graue Schichtwolken im Westen, aus denen auch Blitze zuckten,
verstimmten mich des Morgens ein w-enig, weil ich die
Besorgniss vor dem Eintritte des Begens und dem Verderben
meines Gepäckes nicht unterdrücken konnte; allein der Ostwind,
der kräftig und selbst etwas kühl blies, fegte die Regenwolken
gegen West zurück. Später jedoch stellte sich Westwind
ein, und noch mehr verdüsterte sich der Himmel; als
aber dann die Sonne höher an den Bogen hinaufgegangen
war, verbrannte sie, wenn ich mich so ausdrücken darf,
Nebel und Wolken, und die Olivenhaine von Säris lachten
in der Sonne und ich lachte mit, darum, dass sie mir den
Reisetag so sehr versüsste. Mit gar gemischten Gefühlen
tra t ich 3U. 29 Min. in das Jäfathor der Stadt J e r u s a l e m ,
gesund und wol, von besserem Gehaben als die frühem zwei
male, obwol ich in der Zwischenzeit schon manchen Reif und
Abfall der Baumblätter und an mir selber manche Herbstblumen
erlebte. Wer sollte nicht von heissem Danke gegen
die Vorsehung erfüllt werden, wenn ihm eine so grosse Wol-
that wie die glückliche Erreichung eines ferne gesteckten
Zieles beschert wird? Der Mensch denkt, Gott lenkt. Vor
einem Jahrzehn schrieb ich 229: „Jerusalem, dich sehe ich
nicht mehr; jedoch bleibst du hienieden mein täglich Brot
der Erinnerungen, und wahrscheinlich so lange, bis diese ein
verhängnissvoller Athemzug dahinbläst.” Menschliche Berechnungen
zerstieben wie Spreu vor dem höhern Walten.-
Ich stieg in der casa nuova des Salvatorklosters ab, und
bezahlte den Eseltreiber mit einem schweizerischen Fünf