Man wird über diese Litteratur erstaunt sein, aber zugleich
mit Bedauern gestehen, dass die Wissenschaft, z. B.
die palästinische Erdkunde, keinen Nutzen daraus zieht. Dies
mag übrigens nicht geradezu als Tadel verstanden werden.
Der Zweck war eben nicht die Erweiterung eigentlich wissenschaftlicher
Kenntnisse, sondern die Bereicherung und Erwärmung
des Herzens. Würde man sich nur nicht aus Leichtfertigkeit
gegen die Wahrheit verstossen. So erzählt ein
Pilger das Pikante, dass ein Familienvater in Jerusalem, sobald
er finde, dass die Nachkommenschaft zu zahlreich
werde, das neugeborne Kind zum Fenster hinauswerfe, wo-
dann die Nacht über dasselbe die Hunde verzehren 888. Die
Wallfahrt, im gewöhnlichen Sinne genommen, hat ja so gut
ihre Berechtigung wie die wissenschaftliche Reise, und beide
dürfen einander nicht gegenseitig abstossen. Die Franzosen
und Deutschen fühlten ungefähr das gleiche Bedürfniss, ihre
Gedanken und Gefühle dem neugierigen Publikum mitzu-
theilen; es scheint aber beim französischen, dem Karakter
gemäss, der Sättigungspunkt, für eine Zeit, früher erreicht
worden zu sein. In stylistischer Beziehung stehen im Allgemeinen
die Franzosen, welche jedoch von St o l z überboten
wurden, entschieden über den Deutschen; auch sorgten sie für
eine schönere äussere Ausstattung. Darin sind sie wieder
gleich, dass sie von einander keine Kenntniss haben oder
nehmen, ausser P r i s a c und Ramb o u x , welche sich den
Pilgern des Westens angeschlossen haben. Der französische
Pilger kehrt sonst nicht immer die liebenswürdigste Seite
heraus, ungeachtet er der liebenswürdigsten Nazion angehören
will. Einst waren die Pilger von Durst gequält, und
trafen auf eine Reihe mit Trauben beladener Esel. Sie
wollten die Frucht kaufen; allein die Eseltreiber weigerten
sich, auf den Verkauf einzugehen, was sehr natürlich Vorkommen
muss, wenn man als wahrscheinlich annimmt, dass
die Ladung nicht ihr Eigenthum war. Da traktiren die
französischen Golgathamänner dieselben mit Stock- und Peitschenhieben,
jagen sie in die Flucht, halten die Esel an, und
theilen sich in die Beute 889. Man mag denn freilich um so
weniger von Erstaunen über eine solche Ausschreitung ergriffen
werden, wenn man weiss, dass die Franzosen das heil.
Land gleichsam als*' ihr eigenes ansehen 89°. Ein solches
überspanntes, über die Formen der Zivilisazion und die Forderungen
der Bescheidenheit sich hinwegsetzendes Wesen
trifft man glücklicherweise nicht bei dem deutschen Pilgrim,
welcher dafür durch sein unpraktisches, stubenweises Benehmen
etwas eckig erscheint. Etwa einer jungen Frau
einen flüchtigen Blick zuwerfen, der verräth, dass man im
eifersüchtigen Morgenlande reise, — das geht schon; allein
der Domkapitular J o s e p h S t r i g l in Linz, unzufrieden mit
flüchtigen Forschungen, „wollte” „die junge F ra u ” „näher
besehen, und rief bei dieser Gelegenheit auch einen ändern
Pilger herbei”, nicht etwa unter dem Schutzdache des häuslichen
Herdes, sondern im Freien zwischen Hebron und den
sogenannten Teichen Salomos, als sie ein furchtbares Geschrei
erhob und davon lie f89 %
Die grössern Pilgerzüge begannen, wie bemerkt, 185 3 892.
Zu diesem Zwecke bildete sich in Paris ein Verein für das
oeuvre des pèlerinages en Terre-Sainte, der bereits im August
desselben Jahres den ersten Zug von Marseille aus veranstaltete;
dieser Verein konstituirte sich jedoch definitiv erst
den 10. April 1856 in Paris. Nach den veröffentlichten Statuten
hat derselbe den Zweck, allen römischen Katholiken
die Reise nach Palästina zu erleichtern, und dadurch die
Pietät und die Liebe zu den heil. Stätten zu beleben; jedes
Jahr am grünen Donnerstage, am Montag Quasimodo und
am Tage der Auffindung des heil. Kreuzes wird in Paris für
die Mitglieder eine Messe gelesen ; der Beichtvater jedes
Pilgerzuges wird in der Grabkirche zu Jerusalem eine Messe
für alle dazu einzuladende Pilger lesen; ein öffentlicher Bericht
wird sich über die Abreise der Pilgerzüge, den eingeschlagenen
Weg, die hervorragendsten Vorfälle der Reise
und über einen kurzen Abriss der wichtigsten Nachrichten,
die sich auf das heil. Land beziehen, verbreiten ; ein Verwaltungsrath,
dessen Mitgliederzahl zwanzig nicht übersteigt,
steht an der Spitze; der Verein hat seinen Sitz unter dem