oder Ueberlieferung welche auf Spuren einer in den von
uns zu übersehenden Zeiträumen erfolgten Abkühlung des
Erdballs hindeutete.
Setzen wir also diese Hypothese vorerst bei Seite und
halten uns blofs an wirklich vorhandene Wahrnehmungen
von der Beschaffenheit der Gegenden um die Erdpole; so
müssen wir in Ansehung des P o l a r -Ei s e s auf dasselbe
zurückkommen was wir über die F rage: ob das Gletscher -
E i s zunehme ? oben bemerkt haben. Man möchte nämlich
allerdings fragen: ob nicht um defswillen weil die Eisbildung
überhaupt einen Anfang gehabt haben mufs, und weil
man sie fortschreiten sieht, ein immerwährendes Zupehmen
derselben erfolgen müsse? Man möchte fragen: ob nicht
schon wegen des grofsen Uebergewichtes der kalten Jahreszeit
über die warme in den Polargegenden, dort stets mehr
Eis gebildet werden müsse als wieder aufgelöst werden
kann? — Hierauf ist zu erwiedern, dafs dem allerdings so
ist, und dafs um die Pole wirklich mehr Eis gebildet als
wieder aufgelöfst wird, und dafs folglich das Eis in diesen
Gegenden immerfort, ja bis ins Unendliche vermehrt werden
müfste, wenn das dort gebildete Eis immer dort bliebe
und immerfort neues Zuströmeii von Wasser aus dem Meere
und aus der Luft nach diesen Gegenden hin erfolgte um
dort in Eis verwandelt zu werden. So aber verhält sich
die Sache nicht. Alles Eis welches in den Meeren um die
Pole entsteht, so wie das welches sich als Gletscher an den
Küsten und in den Buchten der Polarländer und Inseln bildet
und durch Gletscherbrüche in der Gestalt von Eisber-.
gen ins Meer stürzt, wird durch Meeresströmungen gegen
Süden getrieben. In den wärmeren Himmelsstrichen schmilzt
es, und so wird immerfort das Uebermaas von Eis vermindert
, das Gleichgewicht hergestellt, und eine ins Unendliche
gehende Vermehrung des Polar-Eises unmöglich gemacht.
Hierin liegt wohl ein vollkommen zureichend-natürlicher
Grund, den man dem Gedanken an eine fortdauernde
Vermehrung dieses Eises immer entgegensetzen
kann.
Unser Zweck aber ist die Ueberlieferung zu fragen nach
Thatsachen für oder wider diese Erscheinung. Sie schweigt
fast ganz, und das Wenige was sie uns bietet, reicht nicht
hoch genug hinauf in die Zeit. Die Untersuchungen über
Veränderungen denen die Eis- und Schneedecke der Erdoberfläche
unterworfen ist sind sehr neu; daher ist es noch
zurZeit sehr schwer, aus Erscheinungen die man im Laufe
einiger Jahrhunderte wahrgenommen hat oder zu haben glaubt,
allgemein geltende Folgerungen abzuleiten. Die Kenntnifs
die die Alten von den Gegenden um die Pole hatten, war
zu wenig genügend, als dafs wir auf das Wenige was sie
uns davon hinterlassen haben, auch nur mit einiger Sicherheit
fufsen könnten. Ueber die Ausdehnung der Schnee-
und Eisfelder in den ihnen bekannten Gebirgen der wärmeren
Erdstriche haben sie ebenfalls nichts Belehrendes hinterlassen.
Vön Schriftstellern des Alterthums werden uns
wohl einzelne Fälle von eingetretenen hohen Kältegraden in
manchen warmen Gegenden berichtet1) , aber nichts den
klimatischen Wechsel in ganzen Erdstrichen Betreffendes.
Wir haben vorhin der Theorie Buffon’s von der vormaligen
eigenthümlichen Wärme des Erdballs, und der Abkühlung
seiner Oberfläche erwähnt. Noch einmal auf diese ge-
wifs sehr sinnreiche Theorie — obgleich sie lediglich ins
Gebiet der Geologie und eigentlich nicht in unsere Untersuchung
gehört — zurückkommend, können wir doch einen
Gedanken nicht unterdrücken, welchen uns die Verhältnisse
1) Z. B. Vi r gi l . Georg. — l u v e n a l Sat. 6. — Ovid. Trist.
3 et 10.