ken längst vergangener, ja sehr alter Zeit festzuhalten.
Ich, zum Beispiel, stehe, da ich diese Zeilen schreibe, in
meinem zwei und sechszigsten Lebensjahre. Mein Vater,
mit welchem ich noch dreifsig Jahre lang zusammen gelebt
habe, stand in seinem fünfzigsten als ich geboren wurde.
Seine Mutter habe ich noch so wohl gekannt, dafs mir die
lebendigste Erinnerung von ihr geblieben ist; und diese, zu
Ende des siebzehenten Jahrhunderts geboren, hat sich
noch sehr wohl mit Menschen unterhalten können die zur
Zeit des Westphälischen Friedensschlusses sich im kräftigen
Alter, oder doch in der blühendesten Jugendzeit befanden.
In diesem Falle also — und der mag sehr häufig Vorkommen
— würden von drei Generationen fast zwei Jahrhunderte
mit Leichtigkeit übersehen, und ihre Begebenheiten der
Erinnerung erhalten werden können. Und demungeachtet
sind Ereignisse, die nur in den Anfang dieses kurz scheinenden
Zeitraums fallen, schon mit Dunkel und Zweifeln umgeben.
Geht man noch um zwei Jahrhunderte über diesen Zeitraum
zurück, wie häufen sich da schon die Zweifel und die
Ungewifsheit über die Art des Hergangs, ja über die Wirklichkeit
von Begebenheiten, die die Ueberlieferung aus
solcher Zeit berichtet. Und so hüllt sich mit jedem Jahrhunderte,
zu dessen Geschichte man hinaufsteigt, das Dunkel
dichter um seine Begebenheiten, verdächtiger wird die
historische Wahrheit,’ die Masse der Zweifel gröfser, Alles
in wachsendem Verhältnisse. Da erlaubt der kritische Forscher
sich schon Zweifel an den auffallendesten, an solchen
Begebenheiten, die merkwürdig genug erschienen waren,
um sich von Mund zu Mund, von Schrift zu Schrift der
Nachwelt mitzutheilen. Welches Dunkel z. B. liegt nicht
auf Geschichten, wie die in der That nicht hohem Alterthum
gehörenden des Sächsischen Prinzenraubes, der Jungfrau
von Orleans, des Wilhelm Teil, der Päpstin Johanna u. s. w. ?
Welche Finsternifs deckt nicht die Begebenheiten des
noch weiter zurückliegenden Mittelalters? Was wissen wir
von den Schicksalen des Nordens, ehe die Römer in einen
Theil desselben eindrangen? Wie viele Sprachen sind nicht
verloren gegangen, selbst von Völkern, die in Zeiten, aus
denen wir fast vollständige Geschichten zu besitzen vermeinen,
grofs und berühmt gewesen sind? Nacht liegt auf den
Geschichten der Karthager und Phönicier, ihre Sprachen
sind verschwunden. In Fabeln und Dunkel gehüllt ist die
alte Geschichte der Griechen, der Aegypter und der mächtigsten
Völker Asiens und Africa’s , und vollends America’s;
auch ist nicht die entfernteste Aussicht vorhanden, dafs die
mühsamsten und gründlichsten Forschungen jemals Licht
bringen können in das Dunkel das diese Völkergeschichten
verhüllt,
Unsere ältesten, dunkelsten Ueberlieferungen, die
Mosaischen nicht ausgenommen, sind neue Geschichten,
sind Vorstellungen, zum Theil mythische, auf Etwas in
noch fernerem Dunkel schwebendes Wirkliche gegründet,
zum Theil mit physischen Hypothesen, zum Theil mit religiösen
Systemen verwebt, zum Theil rein dichterisch und
phantastisch. Sie wollen Begebenheiten berichten eines
noch viele Jahrtausende altern Geschlechtes, das zwar ge-
wifs da war, dessen Andenken aber der Rost ungeheuerer
Zeiträume zerfressen hat.
Wenn nun schon die frühere Geschichte von Völkern
die wir seit wenigen Jahrhunderten kennen für uns in Dunkel
gehüllt ist; wenn selbst die der Völker die vor dreitausend
Jahren die wichtigsten Stellen in dem uns bekannten Theile
der Erde einnahmen, und die damals grofse Weise, Gelehrte
und Geschichtschreiber besafsen, und den Wissenschaften
eifrig oblagen, mit fabelhaften nicht sehr weit
hinter dem Zeitpuncte ihrer Blüthe zurückliegenden Sagen
anhebt, und diesen Völkern selbst über ihre früheren
Wanderungen nichts Zuverlässiges und über ihren Ursprung
noch weit weniger bekannt war; — wenn hingegen selbst
die frühesten bekannten Wanderungen dieser alten Völker