' b, Verdünstung.
Noch merkwürdiger aber ist es, dafs umgekehrt das psychische Bedürfnifs, die
Jungen zur Entwickelung zu bringen, auch die körperliche Fähigkeit dazu erzeugt.
Singvögel, denen man die Eier wegnimmt, legen neue, was sie ohne
diese Veranlassung nicht gethan haben .würden, und Hühner, denen man einzeln
die Eier vor dem Auskriechen der Küchlein wegnimmt, behalten nicht selten
8 bis 10 Wochen lang die erforderliche Brütwärme, die sie verloren haben
w ürden, wenn nach 3 Wochen sämmtliche Küchlein ausgeschlüpft wären *).
Doch ich darf hier mich nicht weiter in das Brütgeschäft einlassen, da ich
für das vorgesteckte Ziel nnr die Veränderungen des Eies, nachdem es gelegt worden
ist, ins Ange zu fassen habe.
Nachdem ein Ei gelegt worden ist, verliert es immer an Gewicht, es niag
bebrütet werden, oder nicht. Im letztem Falle ist der Verlust rascher, nach Beendigung
der Bebrütung hat das Ei nach P ro u t’s Beobachtungen 0,16 seines Gewichtes
verloren und es schwimmt jetzt auf dem Wasser, obgleiches, nachdem
es gelegt war, stets untersank **). Es ist also der zum Auskriechen reife Embryo
lange nicht so schwer, als der ursprüngliche Inhalt des Eies.
Aber auch ohne bebrütet zu werden erleidet das Ei fortwährend einen Gewichtsverlust,
der zwei Jahre hindurch im Durchschnitte täglich \ Gran beträgt,
in der ersten Zeit aber beträchtlicher, über einen Gran täglich, später unbedeutender
ist ***). Der Gewichtsverlust zeigt sich auch in unbefruchteten Eiern.
*) Ich kann mich nicht enthalten, hier eine für mich sehr interessante Erfahrung mitzutheilen.
In einem Stalle, der einer brütenden Henne zum Aufenthalte angewiesen war', trieben auch
einige Enten ihr Wesen, die sich häufig iin Wasser einer, benachbarten Wanne badeten. Der
nicht gedielte Stall wurde d durch einem Sumpfe gleich, und auch das Stroh, aus welchem das
Nest des Huhnes geformt war , wurde allmählig durchweicht. Das Nest war deshalb auch kalt
und die Entwickelung der Eier ging sehr langsam vor sich. Ich liefs nun aus trocknem Stroh
ein neues Nest machen. Als ich wenige Stunden darauf unter den Leib der Henne griff, um
ein Ei wegzunehmen,' fuhr ich erschreckt mit der Hand zurück, weil ich im ersten Augenblicke
das Gefühl hatte, als ob das Stroh brenne. Von der Unmöglichkeit eines Brandes sogleich
überzeugt , untersuchte ich das Nest nochmals mit der Hand und fand cs ganz ungemein
heifs. Die Eier liefsen sich anfühlen wié Eier, die in der Brütmaschine eine Hitze von mehr
als 36° R. erlangt haben. Diese übermäfsige Hitze nahm allmählig ab und in weniger als
24 Stunden hatte das noch völlig trockne Nest die gewöhnliche Wärme.
Ich schliefse hieraus, dafs die Wärmeproduction des mütterlichen Körpers sich auf dem
feuchten*Neste vermehrt hatte. Diese Vermehrung ist aber gerade dem gewöhnlichen Einflüsse
der Feuchtigkeit entgegengesetzt, weshalb es mir scheint, dafs der Trieb, den Eiern
trotz des Verlustes durch das verdünstende Wasser die gehörige Wärme zu geben, hier die
Wärmeerzeugung des Körpers vermehrt hatte.
**) Nach P r o u t (Philosophical Transactions 1822) hat das Ei vor derBebrütung ein specifisches
Gewicht von 1,08 bis 1,09.
***) Ebenfalls nach P r o u t a. a. O.
Er ist also kein Lebensact, sondern eine rein physische Verdünstung, die nur unterbleibt,
wenn man durch einen Ueberzug von Firnifs oder auf ähnliche Weise
die Verdünstung hindert, j Hiermit soll aber nicht behauptet werden, dafs , wenn
sich das Küchlein entwickelt, das Leben desselben auf die Verdünstung gar keinen
Einflufs habe, besonders in der letzten Zeit.
Das Verdüusten des Eiweifses hat eine merkwürdige und für dieEntwicke- c. Erzeu-
lung des Küchleins sehr wichtige Folge. Das Eiweifs nämlich, das an Masse ver- £uft? V°n
liert, zieht sich zusammen. Da es am spitzen Ende fester anhängt, so zieht es
sich vom stumpfen Ende mehr ab. Ihm folgt das zunächst anliegende innere Blatt
der Schaalenhaut. Es würde also zwischen beiden Blättern am stumpfen Ende ein
leerer Raum entstehen, wenn sich hier keine Luft ansammelte. Diese zeigt sich
aber gleich nach,dem Beginne der Verdünstung mul zwar nur in Eiern mit harter
Schaale — in Eiern mit unvollendeter Schaale nicht. Die letzteren fallen vielmehr
zusammen, Wenn die Verdünstung wirkt. So entsteht also der Luftraum, *)
in den gewöhnlichen hartschaaligen Eiern als Folge der Verdünstung. Die Luft
könnte man als von aufsen eingedrungen annehmen , wenn das stumpfe Ende der
Schaale hinlänglich weite, Poren hätte. Allein die chemische Untersuchung
spricht dagegen, indem die Luft des Luftraumes beträchtlich reicher an Sauerstoff-
gas ist, als die atmosphärische Luft, denn ihr Sauerstoffgehalt wechselt von 0,25
bis 0,27 **). Es mufs also die Luft aus den Theilen des Eies selbst stammen.
Entweder kann die Feuchtigkeit des Eiweifses, indem sie, durch die weichen
vom Kalke nicht ganz ausgefüllten Th eile der Schaale verdün stet, die in ihr enthaltene
Luft nicht mitnehmen, und diese sammelt sich nun zwischen beiden Blättern
der Schaalenhaut am stumpfen Ende an, wo wegen Zusammenziehung des
Eiweifses ein leerer Raum entsteht, oder es tritt unmittelbar aus dem nicht ver-
dünsteten Eiweifse Luft aus, weil der Druck, unter welchem das Eiweifs früher
war, sich verringert hat, indem am stumpfen Ende ein leerer Raum sich zu bilden
anfängt. Immer mnfs die ausgeschiedene Luft, wenn sie früher dem Eiweifs
beigemischt war, sauerstoffreicher seyn, als die atmosphärische, da Flüssigkei-
■&) Der Luftraum wird auch Luftblase genannt, eine unpassende Benennung, da der Raum weder
in der Gestalt einer Blase gleicht, noch auch von einer eigenen Haut umschlossen Ist.
**) Dieses Maals fand Hr. Doctor D u lk . Schon B i s c h o f f hatte auf den Sauerstoffreichthum'
der Luft in den Eiern aufmerksam gemacht (JV. Journal fü r Ch. u. Ph. N. R. E. IX. S. 446)
und die Menge desselben zu 0,22 bis 0,245 angegeben. Weil diese Anzeige etwas kurz war,
bat ich Hn. Dr. D u lk die Untersuchung zu wiederholen. Das Resultat dieser Untersuchung
ist für *die Entwickelungsgeschichte Und die gesammte Physiologie so wichtig, dafs ich es für
Pflicht halte, die von ihm mir gewordene gütige Mittheilung hier in einem Anhänge vollständig
bekannt zu machen.