fend, als Möglichkeiten hingestellt hat, irrig siml, als vollständig den wahren
Hergang der Zeugung und Entwickelung einzusehen und aus den mannigfachen
Variationen das Wesentliche aufzufinden. Allein ich zweifle auch keineswegés,
dafs wir thatsächliche Kenntnifs genug besitzen, um das Verhältnifs dieser Seite
des organischen Lebens zu andern zu erkennen und zum Theil wenigstens die
Mittel nachzuweisen, welche die Natur .'inwendet, um einen neuen Organismus
zu gestalten. Mehr aber kann die Physiologie als Kenntnils des Lebens
eigentlich nirgends erreichen. — Die anhaltenden Untersuchungen über Entwickelungsgeschichte
sind aber zum Theil noch so neu, zum Theil sind die früheren
durch angenommene Ansichten so getrübt, dafs man behaupten darf, ihre
Ergebnisse seyen selbst den Aerzten im Allgemeinen noch wenig bekannt^15 den
Nichtärzten aber fast völlig fremd.
Ich möchte daher wohl den Versuch wagen, durch eine Darstellung des
Beobachteten Sie zu einer tiefem Einsicht in die Zeugungs - und Entwickelungsgeschichte
der organischen Körper zu führen und zu zeigen, wie dieselben weder
vorgebildet sind, noch auch, so wie man sich gewöhnlich denkt, aus unge-i
formter Masse in einem bestimmten Momente plötzlich anschiefsen. Die Schwierigkeit
über einen Gegenstand zu sprechen, der der Sphäre unsrer Schul - und
Universitätsbildung, die sich die allgemein menschliche nennt, sq ganz fremd ist^.
fühle ich wohl, und ich fürchte nicht ohne Grund, dafs es mir unerreichbar seyn
wird, so verständlich zu werden als ichjwfünsche, besonders weil das Hypothetische
Ihnen bis jetzt geläufiger seyn dürfte als das Factische. Mufs ich doch sogar
voraussetzen, dafs Ihnen der Bau des Vogeleies unbekannt ist, denn obgleich
unter meinen verehrten Herrn Zuhörern wohl keiner ist, der nicht wüfste, dafs
Gänsegeschnatter einmal das Capitol gerettet haben soll, so ist, aufser den Medi-
cinern, wohl keiner, der mit dem Inhalte eines Gänseeies bekannt wäre, und ein
tüchtiger deutscher Schulmann würde überhaupt nicht wissen, dafs das Geflügel
Eierlegt, wenn er s nicht aus dem P lin iu s oder P h ä d ru s hätte.
Die Entwickelungsgeschichte der Vögel ist es, die durch die vortheilhafte
Gelegenheit zur fortgesetzten Untersuchung die Basis unsrer Kenntnifs der Erzeugung
und Ausbildung der Thiere geworden ist. Was wir von der Ausbildung
der übrigen Thiere wissen, ist für die meisten Klassen, besonders aber für die
Säugethiere, zu denen ja auch der Mensch in physischer Hinsicht gehört, so Vereinzelt,
dafs es nur durch die Vergleichung mit der Entwickelung der Vögel verständlich
wird. Diese Vergleichung ist aber auch für unsern Zweck nothwendig,
damit wir einsehen, was in der Entwickelungsgeschichte der Vögel für die thierirische
Enlwickelungsgeschichte überhaupt gilt und was nur dieser Tliierklasse
eigenthümlich zukommt.
Ich werde nun, damit Sie seihst Stoff zum Urtheil erlangen, und nicht die
Ueberzeugungen und allgemeinen Lehren, zu denen wir gelangen, als eine Tradition
aufzunehmen haben, sondern nach Ihrer eigenen geistigen Ausbildung zu
modificiren im,Stande sind , den Weg einschlagen, der dazu am meisten geeignet
scheint. Ich werde zuerst die Entwickelungsgeschichte der Vögel vorlragen,
dann das Wesentlichste aus der Bildungsgeschichte anderer Thierklassen kürzer
gefafst hervorheben und mit der Ausbildung der Vögel vergleichen, um endlich
zur Beleuchtung der Hauptfrage über das Wesen der Zeugung und der Entwickelung
des Embryo überzugehqn, mit dem Bestreben, das Sichere, Unabweisbare,
den darauf gegründeten Ansichten voranzuschicken, ohne überall einen streng'
chronologischen jWeg einzuschlagen , sondern nach einer solchen Anordnung, wie
ich sie für die Verständlichkeit vortheilhaft halte. Aus' diesem Grunde werde ich
auch nicht mit der ersten Spur der Eier der Vögel beginnen, sondern mit der Beschreibung
des gelegten,, noch nicht bebrüteten Eies, weil Jedermann die bequemste
Gelegenheit hat, solche Eier zu untersuchen, um an ihnen die einzelnen
Theile kennen zu lernen *).
Da viele von Ihnen Aerzte sind, so darf ich annehmen, dafs es für Sie vorzügliches
Interesse haben mufs,. die Entwickelung des Menschen mit der der.Vö°el
durch die verbindende Brücke der übrigen Säugethiere verglichen zu sehen. Ich
nehme dabei an, dafs die meisten von Ihnen die menschliche Frucht so kennen,
wie unsere gewöhnlichsten Anatomischen Handbücher sie geben. Ich darf ferner
annehmen, dafs Ihr Wunsch nicht allein darauf gerichtet ist , für die Hauptfrage
über die Art und Zeit der Entstehung des organischen Körpers und seines Lebens
sich eine Ueberzeugung zu gewinnen, sondern auch die Bildungsweise der einzelnen
Organe, kennen zu lernen, weil ihre Bildungsweise so viel Licht auf ihre
physiologische Bedeutung wirft.
*). Meinen Lesern rallié; ich auch recht nachdrücklich, beim Lesen der folgenden Paragraphen
ein Paar Eier zu Öffnen. Man breche oben einen The il der Schaale weg und sehe zuerst
1 den Inhalt dès Eies an, dann brèche man die gesammte Schaale, wo möglich, in zwei Hälften
aus einander und lasse den ganzen Inhalt des Eies in ein Gefäfs mit Wasser fa llen , d a s .tie f
g enug i s t , um das Ei, darin wenden zu können.
TI. ß