b . De s Lebens
Anfang
in* Individuum.
c. OH es im
Moment der
Befruchtung
neu beginnt?
Verhältnisse zu betrachten, wie sie sind, ohne erzwungene oft lächerliche Erklärungen
und Zurückweisungen auf Einzelheiten in der unorganischen Natur.
Mehr noch sieht man aber die Kenntnifs des organischen Lebens als unvollständig
an, weil man den Moment seines Anfanges in jedem einzelnen Organismus
nicht genau nachzuweisen im Stande ist. Die Zeugung und Entwickelung
eines lebendigen Körpers fand man deshalb von je her besonders geheimuifsvoll
und wunderbar. Sie ist es aber nicht mehr als irgend eine andere Lebenserscheinung,
denn wir gewöhnen uns nur zu sehr an den Glauben, dafs wir das vollkommen
verstehen, was wir mit unsern Simien oft wahrnehmen, und nur was
nicht unmittelbar vor unsern Augen oder unter unsern Händen geschieht, glauben
wir, sey uns unverständlich. Auch wer sonst nur wenig auf die Pflanzenwelt
achtet, hat sich wohl nach der Lösung des Geheimnisses gesehnt, .wir: aus dem
Saamenkorne ein neuer Baum aufschiefst. Dafs aber ein Baum jährlich Knospen
treibt und aus diesen Knospen Aeste hervorwachsen, regt selten die Wifsbegierde
des Nicht - Naturforschers auf — und doch ist der Unterschied fast nur der,
dafs jene Entwickelung in der Erde von uns nicht gesehen, diese über der Erde
vor unsern Augen vorgeht. — Eben so findet man es nicht wunderbar, daß
jeder Mensch, den wir um uns erblicken, jedes Thier und jede Pflanze sich ernährt
und wenigstens einige Zeit des Lebens hindurch wächst. Die Ernährung
ist aber nichts als eine stete Umbildung. Der Mensch von heute ist schon nicht
ganz mehr der Mensch von gestern. Das Wachsthum ist Ernährung mit Bildung
neuer Körpermasse — in der That eine fortgesetzte Zeugung, und die Zeugung
ist nichts als der Anfang eines individuellen Wachsthums. — Das Wächsthum
linden wir nun ganz begreiflich, aber eben der Anfang ist es, den wir gern erkennen
möchten. Vor allen Dingen suchen wir einen recht bestimmten Anfang,
eine scharfe Grenze zwischen Seyn und Nichtseyn. Ist aber in der Nätur wirklich
ein solcher absoluter Anfang irgendwo bemerklich? Ist sie nicht ewige Veränderung
, und liegt es nicht vielleicht blos in der geistigen Anlage des Menschen,
dafs er einen absoluten Anfang sucht?
Man hat in der That Scharfsinn und Phantasie bis zum Uebermaafs angestrengt,
um diesen Moment aufzuspüren. Vor allen Dingen schien es am glaublichsten,
dafs im Augenblicke der Befruchtung das neue Wesen wie durch einen
electrischen Schlag, oder durch Vereinigung zweier heterogener Stoffe, wie ein
chemischer Niederschlag oder durch irgend ein magisches Kunststück entstehen
müsse. Allein wie scharf man auch die Microscope wählte, wie sehr man auch
das Auge anstrengte, mau sah gleich nach der Befruchtung nichts, was man nicht
vorher gesehen hatte. Erst einige Zeit später war das neue Pflänzchen oder das
neue Thier erkennbar und schon im Wachsen begriffen. Vorher war aber doch
schon etwas, das zwar nock kein eigenes Leben besafs, der ersten Form des werdenden
Thieres oder der Pflanze aber doch ähnlich war, und nur als Umbildung
dieses Theiles zeigte sich der selbstständige organische Körper.
Man mufste daher auf den Gedanken kommen, der Anfang falle vielleicht
nicht mit der Befruchtung zusammen 1 sondern dig Frucht sey schon vorher in den
Aeltern vorhanden und gelange jetzt nur in Verhältnisse, in welchen sie rascher
fortwachse. In diesem Falle konnte man ihr Daseyn entweder im mütterlichen
oder im väterlichen Körper suchen. Im mütterlichen Körper höherer Thiere sind
allerdings in bestimmten Organen, den Eierstöcken, Theile enthaltenem welchen
nach der Zeugung die neuen Individuen sich finden und die man in ihnen
sich vorgebildet dachte. Diele Theile lieifsen überhaupt Eier. — Sie lassen vor
der Befruchtung kein eigenes Leben erkennen. — Im männlichen Zeugungsstoffe
der Thiere hatte man hingegen-nach der Erfindung der Vergrößerungsgläser
eine überaus grofse Menge kleiner, offenbar selbstständig beweglicher, also lebendigerKörperchen
entdeckt, eine Beobachtung, die für diejenigen Naturforscher,
welche nach einer Praeformation suchten, sehr willkommen war. Diese Thier-
chen sollten die augenscheinliche Brut der gröfseren Thiere seyn, in deren Zeugungsorganen
sie sich finden. Allein nun blieb wieder die Zeugungsgeschichte
dieser Thiere zu enträthseln. Hatte man sich einmal am Wunderbaren erhitzt,
so wurden alle Schwierigkeiten, wenn auch auf Kosten des gesunden Menschenverstandes
, ff eicht überwunden. — ' Alan warf von entgegengesetzter Seite die
ungeheure Anzahl der Tliierchen des männlichen Zeugungsstoffes ein; allein die
Vertheidiger erwiderten, es wäre sehr glaublich, dafs im Augenblicke der Befruchtung
Millionen derselben sich mörderisch herumbissen, bis ein Uebrigblei-
bender in das Bläschen des weiblichen Eierstockes als glücklicher Sieger einzöge.
Schade nur, dafs die Cercarien, so nannten die Zoologen die Thierclien im
männlichen Zeugungsstoffe, gar keine Organe zum Beilsen und überhaupt nicht
die entfernteste Aehnlichkeit mit den höheren Thieren haben, sondern aus einem
kleinen vordem Kuöpfchen und einem langen zugespitzlen Anhänge bestehen,
ohne alle weitere Gliedmafsen. Nach kurzem Flor wurde diese Hypothese daher
auch vergessen und ruhte überein halbes Jahrhundert, als in neuester Zeit zwei
sehr genaue Beobachter, P re v o s t und Dum a s, sie modificirt wieder ins Leben
riefen, nach langen und sorgfältigen Untersuchungen der Saamenthiercheu.
„Nicht das ganze Huhn, oder das Rind wird aus der Cercarie gebildet”, sagten
sie, „sondern nur das Nervensystem, das Uebrige wächst daiin aus dem weiblichen
Zeugungsstoffe hinzu.” In der That hat das Rückenmark, vereint mit dem
d . Ob die
Nachkommen
schon
in den Aeltern
lebten ?