Embryo nie durch eine andre Thierform hindurchgeht, sondern nur durch den
Indifferenzzustand zwischen seiner Form und einer andern, und je weiter er rückt,
desto geringer ist der Unterschied der Formen, zwischen welchen die Indifferenz
liegt. In der That zeigt die Abbildung, dafs der Embryo einer gewissen Thierform
im Anfänge nur ein unbestimmtes Wirbelthier, dann ein unbestimmter
Vogel und so weiter ist. Da er zugleich innerlich sich ausbildet, so ist er in der
ganzen Reihe seiner Ausbildung zugleich ein immer mehr entwickeltes Thier.
Aber, wird man hier einwenden, wenn dieses Entwickelungsgesetz
richtig seyn sollte, wie war es möglich, dafs man für das frühere so viele un-
Jäugbare Gründe anführen konnte. Die Sache ist ziemlich leicht erklärlich*
Zuvörderst ist der Unterschied so grofs nicht, als er beim ersten Anblicke scheint,
und zweitens hat man, wie ich glaube, bei jener Ansicht zuerst sich eine Annahme
erlaubt und nachher vergessen, dafs sie nicht erwiesen war, vor allen
Dingen aber den Unterschied zwischen Typus der Organisation und Stufe ihrer
Ausbildung nicht beachtet. Da nämlich der Embryo allmählig durch fortgehende
histologische und morphologische Sonderung sich ausbildet, so mufs er in dieser
Hinsicht mit wenig entwickelten Thieren um so mehr übereinstimmen, je jünger
er ist. . Ferner weichen die verschiedenen Thierformeu bald mehr bald weniger-
vom Haupttypus ab. Der Typus selbst ist natürlich nirgends rein ausgebildet,
sondern nur unter bestimmten Modificationen. Nun scheint es aber ganz noth-
wendig, dafs diejenigen Formen, in welchen die Thierheit am höchsten ausgebildet
ist, am meisten vom Grundtypus abweichen. In allen Grundtypen nämlich,
wenn ich sie richtig aufgefunden habe, liegt eine gleichmäfsige Vertheilung
der organischen Elemente. W enn nun vorherrschende Centralorgane sich bilden,
und vor allen Dingen ein Centraltheil des Nervensystemes, wonach wir doch am
meisten die höhere Ausbildung abmessen müssen, so wird nothwendig der Typus
bedeutend modificirt. Die Würmer, die Myriopoden haben einen gleichgliedrigen
Körper und stehen dem Typus näher als die Schmetterlinge. Ist nun das Gesetz
wahr, dafs bei der individuellen Ausbildung der Haupttypus zuerst bestimmt
wird und nachher die Modificationen, so mufs der unentwickelte Schmetterling
der ausgebildeten Scolopendra und selbst dem ausgebildeten Rundwurme ähnlicher
seyn, als umgekehrt die junge Scolopendra oder der junge Rundwurm dem ausgebildeten
Schmetterlinge. Nimmt man nun auf die Eigenthümlichkeiten des
Rundwurmes, das rothe Blut z. B., das er auch erst später erhält, nicht Rücksicht,
so kann man leicht sagen, der Schmetterling sey anfangs ein Wurm.
Dasselbe ist deutlich bei den Wirbelthieren. Die Fische sind weniger vom
Grundtypus entfernt, als die Säugethiere, und besonders der grofshirnige Mensch.
Sehr natürlich also, dals der Embryo der Säugethiere dem Fische ähnlicher ist,
als der Embryo des Fisches dem Säugethiere. Wenn man nun im Fische nichts
erkennt, als das wenig ausgebildete Wirbelthier (und das ist die unbegründete
Annahme, deren wir oben erwähnten), so mufs man das Säugethier für einen
höher ausgebildeten Fisch halten, und dann ist es ganz consequent zu sagen, der
Embryo des Wirbelthieres sey anfangs ein Fisch. Deswegen durfte ich früher
behaupten (§. 1.), dafs mit der herrschenden Ansicht über das Entwickelungsgesetz
die Ansicht von einer einseitigen Stufenleiter der Thiere nothwendig sich
verbindet. Nun ist aber der Fisch nicht blols ein unvollkommenes Wirbelthier,
sondern hat außerdem noch den Fischcharacter, wie die Entwickelungsgeschichte
deutlich nachweist.
Doch schon genug! Ich habe versucht, in der Versimilichung des Ent-
wiclcelungsganges auch darzustellen, wie der Embryo des Menschen allerdings
dem Fische näher steht,, als umgekehrt, indem er sich weiter vom Grundtypus
entfernt, und nur aus diesem Grunde ist manches Problematische, wie die Nabelschnur
der Monotremen, mit aufgenommen. Im Einzelnen kann diese Darstellung
eben so wenig alle Relationen richtig geben, wie jede, andre Abbildung organischer
Verwandtschaften auf einer Fläche, auch wenn die Untersuchung' schon
beendigt.wäre, die doch kaum begonnen ist.
Wir fassen nur noch den Inhalt dieses Paragraphen an seinem Schlüsse
zusammen. Die Entwickelung eines Individuums einer bestimmten Thierform
wird von zwei Verhältnissen bestimmt, l) Von einer fortgehenden Ausbildung
des thierischen Körpers durch wachsende histologische und morphologische Sonderung;
2) zugleich durch Fortbildung aus einer allgemeinem Form in eine mehr
besondere.
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Cor o l l a r i e n z um f i t n f t e n S c h o l i o n .
Die Entwickelungsgeschichte ist der wahre Lichtträger für Untersuchungen
über organische Körper. Bei jedem Schritte findet sie ihre Anwendung, und alle
Vorstellungen, welche wir von den gegenseitigen Verhältnissen der organischen
Körper haben, werden den Einflufs unsrer Kenntnifs der Entwickelungsgeschichte
erfahren. Es wäre eine fast endlose Arbeit, den Beweis für alle Zweige der
Forschung führen zu wollen. Da aber jene Vorstellungen von selbst sich umgestalten
müssen, wenn man den Entwickelungsfortgang anders aufgefafst hat, so