ihm verwandten Wesen vergleicht. An uns selber sind
nur einzelne Seiten der tiefem Erforschung fähig. Die
übrigen sind verhüllt. Um in diese einzudringen, müssen
wir sie an Wesen untersuchen, bei welchen sie
freier vor Augen liegen.
Das Studium der lebenden Natur erhebt und veredelt
aber auch den, der sich demselben auf die
gehörige Weise ergiebt, bewahrt ihn vor Einseitigkeit
und hält ihn zurück von Aberglauben wie von Unglauben.
Was ist die Erde mit allen ihren Schätzen
für den grofsen Haufen als ein Schauplatz voll Gestalten
ohne tiefere Bedeutung? Diese gehen vorüber
vor seinen Augen, ohne seinen innern Sinn zu rühren.
Sie sprechen ihn an, aber er ist unempfindlich für
ihre Töne und versteht ihre Sprache nicht. Er stirbt
im Ueberflufs, seufzend über die Leere des Daseins
und das Einerlei der Tage. Der Vertraute der Natur
ist in einer Welt, die ihm immer neue Seiten zeigt,
ihn nie weilen lassen würde, wenn er auch Jahrhunderte
zu leben hätte. Alles in ihr hat Bedeutung
für ihn. Allenthalben ist er einheimisch, und kein
Theil der Erde ist ihm ohne Reize, weil er allenthalben
die Natur wiederfindet. So fühlte sich S te lle r ,
begeistert vom Studium seiner Wissenschaft, im öden
Kamschatka glücklich wie im Paradiese, Er wünschte
sich, verbannt zu seyn nach Sibérien, um seinen Durst
nach Entdeckungen stillen zu können.
Ein solches geistiges Leben in der Natur kann
nicht anders als den Sinn für Einfalt und Wahrheit
nähren und schärfen. Darum wurde der Naturforscher
Joh. August Ephraim G o eze ein Prediger des
Friedens, während sein Bruder, der Zelot Melchior,
gegen jeden Seibstdenker wüthete. Ein alter Dichter
sagte: Wer Verse mache, denke nur auf diese, nicht
auf Lüge und Trug. Dies mag gegründet seyn. Aber
es ist nicht einerlei, auf das Unwürdige nicht denken
blos weil ein anderer Gegenstand davon abzieht, oder
weil das moralische Gefühl durch stete Beschäftigung
mit edlen Gegenständen veredelt ist. Es gab wohl
keinen grofsen Dichter, hingegen viele oberflächliche
Naturforscher ohne Adel der Gesinnung. Doch wer
zur Höhe des Parnasses gelangte, wrar schon ein
edler Mensch, ehe er sie erklimmte. Wer aber durch
das Studium der Natur nicht moralisch besser wurde,
ergab'sich demselben nicht aus innerm Trieb und
Drange. Dies gilt zwar nicht blos von dem Studium
der lebenden Natur, doch von diesem vorzüglich.
Man kann sich tiefe mineralogische, chemische und
physische Kenntnisse erwerben, ohne über die grofsen
Fragen zu reflectiren: Was, woher und wozu wdr
selber sind? Aber man kann nicht einmal über die
Entstehung der Aufgufsthierchen zur Gewifsheit gelangen,
ohne auf Fragen zu stofsen, die sich an jene
knüpfen. Ueberhaupt ist keine Wissenschaft mit allen
übrigen so eng verflochten als die Wissenschaft vom
Leben, und darum kann Keiner weniger in Einseitigkeit
verfallen, als der, welcher diese in allen ihren
Theilen zu ergründen sucht. Es läfst sich nicht das
Sehen mit dessen verschiedenen Modificationen bei den
verschiedenen Thieren ganz begreifen als nur von dem,
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