müssen, alle Doppeltmifsgeburten würden aus einem
und demselben Keim durch Spaltung der bildenden
Kraft hervorgebracht. Dieser Satz ist zu handgreiflich
falsch, als dafs Einer ihn bestimmt auszusprechen wagte.
Läfst sich dieser aber nicht halten, so ist man auch
nicht befugt, die mechanischen Ursachen von den
Erklärungsgründen des Ursprungs der Mifsgeburten
auszuschliessen. Und warum sollte die Richtung und
Energie der bildenden Kraft nicht eben sowohl durch
mechanische Einwirkungen, als durch andere Einflüsse
abgeändert werden können? Man hat sich, um zu
beweisen, dafs Zwillingskeime nicht durch Zusammen-
fliesscn Doppeltmifsgeburten bilden könnten, auf eine
Beobachtung J. C. Wo l f f ’s berufen, der m einem
Ei mit einfachem Eiweifs und Dotter, sechs Tage
nach der Bebrütung, zwei Embryonen in unmittelbarer
Berührung mit den Köpfen an einander liegend und
doch nicht mit einander verwachsen fand.*) Aber
dieser Fall beweist nur, dafs, damit zwei Keime sich
vereinigen, sie schon vor ihrer Entwickelung, in dem
Zustande, wo sie noch blos Flüssigkeiten sind, zu-
sammenfliessen müssen. Für sie kann die Möglichkeit
der Vereinigung schon vorbei seyn, während dieselbe
für ihr Eiweifs und ihren Dotter noch vorhanden ist,
Wenn man übrigens mechanische Ursachen für die
wichtigsten Veranlassungen des Entstehens der Mifs-
bildungen annimmt, so mufs man doch freilich auch
andere Ursachen für Anlässe desselben anerkennen.
*) Meckel a. a. O. S. 33.
Zu diesen gehören vorzüglich: geistige Einwirkungen
von Seiten der Mutter auf die Frucht, Vererbung
zufälliger Verunstaltungen der Eltern auf die letztere,
mehrere Ursachen der Ausartung, Scropheln, Rachitis
und ähnliche, auf die bildenden Kräfte wirkende,
innere Krankheiten. Diese Einflüsse können aber entweder
nur krankhafte Mifsgeburten, oder doch nie
so bedeutende Mifsbildungen als die mechanischen
Ursachen hervorbringen.
Es giebt bei diesen Bildungen noch einige andere
Umstände, die der Beachtung werth sind. Da, wo
die Deformität in einzelnen überzähligen Gliedern
besteht, findet man das Innere dieser Theile nie so
organisirt, wie dasselbe gebildet seyn würde, wenn sie
Mittel zum zweckmässigen Wirken des Ganzen wären.
So hat Mayer*) eine Mifsgeburt beschrieben, die in
einem vollständigen Fetus bestand, aus dessen Brust
der Unterleib mit den hintern Extremitäten eines Parasiten
hervorragte. Das Fleisch des letztem war eine
weisse, körnige, von schwachen Muskelfasern durchzogene
Fettmasse. Das Rückenmark, der ischiadische
Nerve, der Schenkelnerve und der Hüftbeinlochsnerve
fehlten ganz. In jener Masse waren ebenfalls keine,
zu dén Muskelfasern gehende Nerven zu erkennen.
Wohl aber fand sich ein feiner Nervenfaden, welcher
aus dem Nierengeflecht des vollständigen Fetus zu
entspringen schien, die Schenkelarterie begleitete,
Seitenzweige an sie abgab und sich bis zum Unter-
*) G rä fe ’s und W a llh e r ’s Journal für Chirurgie und Augenheilkunde.
B. 10. S. 44.
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