Chemie wird vielleicht dahin gelangen, Stärkemehl,
Eiweifsstoff und vegetabilisches Zellgewebe aus einfacheren
Substanzen hervorzubringen, aber nie dahin,
zu bewirken, dafs das künstliche Zellgewebe Blätter,
Blüthen und Früchte treibt.
Bei der thierischen Ernährung läfst sich kein solches
Fortschreiten in der Bildung von einfachem Materien
zu mehr zusammengesetzten wie bei der vegetabilischen
nachweisen. Nur die Pflanze bereitet organische Substanzen.
Das Thier ertheilt dieser, schon bereiteten
Materie den animalischen Character. Wenn, wie alle
Umstände beweisen, der Eiweifsstoff die Ursubstanz
aller thierischen Theile ist, so beruhet die thierische
Ernährung in ihrer einfachsten Form auf Ausziehung
dieses Stoffs aus den Nahrungsmitteln, Absonderung
dessen von ihm, was dem zu ernährenden Individuum
unangemessen ist, und Verbindung desselben mit denen
Stoffen, welche die Natur dieses Individuums verlangt.
Die Erfordernisse hierzu sind: dafs die Nahrungsmittel
möglichst zertheilt, ihrer Vitalität beraubt, aufgelöst,
mit Stoffen, welche das zu ernährende Individuum
selber liefert, versetzt, in einen, diesem anzueignenden
Theil und einen andern, auszusondernden geschieden
werden. Diese Verrichtungen werden von allen Thieren
vollzogen. Nur sind sie nicht bei allen Thieren von
einander getrennt.
Die Zertheilung der Speisen geschieht durch die
Kauwerkzeuge, wovon im Vorhergehenden (S. 284)
die Rede war. Wo diese sich im Munde befinden und
wirklich zum Zerreiben des Futters dienen, da ergiefst
sich immer während dem Käuen eine wässerige Flüssigkeit
auf die Speise. Doch fliefst dieselbe auch bei
vielen Thieren, die ihr Futter ganz unzerstückelt verschlingen,
der Mundhöhle zu. Sie kann also nicht
immer den Zweck haben, dem zu Verschluckenden
einen gewissen Grad von Flüssigkeit zu ertheilen.
Bei manchen Thieren hat sie offenbar eine andere,
mechanische Bestimmung. Sie ist z. B. bei dem Specht,
dem Ameisenbär (Myrmeeophaga) und dem Chamäleon
ein klebriger Saft, der die Zunge überzieht und als
Mittel zum Fange kleiner Insecten dient. Im Allgemeinen
kömmt ihr aber eine doppelte, höhere Bestimmung
zu: der Speise die Vitalität zu entziehen
und den ersten Grad der Verähnlichung zu geben.
Die erste Wirkung ist Bedingung der zweiten. Das
Zermalmen allein reicht nicht zu, in allen organischen
Theilen das Leben aufzuheben. In jeder Partikel der
Fühlblätter der zweischaaligen Mollusken dauern noch
Zuckungen fort, wenn diese auch durch Zerreibung
in einen Brei verwandelt sind. Der Speichel aller
Thiere, bei welchen derselbe so auf die Speise wirkt,
dafs diese ganz davon durchdrungen wird, mufs deswegen
als ein Gift wirken. Es hat sich in der That
ein sehr starkes Gift, die schwefelhaltige Blausäure,
als ein Bestandtheil des Speichels des Menschen und
des Schaafs gezeigt.*) Noch vreit giftiger ist der Speichel
vieler Schlangen, der Spinnen und Scolopendern.
*) Ich wurde auf die Entdeckung der Gegenwart dieser Substanz
im menschlichen Speichel durch die Blutfarbe geleitet, welche derselbe in
Verbindung mit Eisenoxyden hervorbringt. Man kannte damals aber noch