
140 II. KAI'ITEL. DAS WKLTDILD DES MITTELALTEIiS. EXCENTRICITAT DER ERD- UND WASSER - SPHÄRE. 141
Aber noch von eiuci- anderen Seite lier wurde dieselbe liegünstigt.
Ks wurde aHgeinein aiigenoinuien. dass auf d(>r Erdoberiliielie ibis
Areal des ~\Va.s.sers jenes des Landes l)ei weitein überwiege. Neben
allgenienien Angalien hierüber, wie wir sie n. A. bei ISasilins dem
tiro,«.sen und Ristoro von Arezzo linden.') ist es- wieder Albertus
Magnus, der diese Frage einer eingebenden Prüfung unterwirft. Kr
erinnert an die Lehrnieinungen gewi.sser 31athematiker. welche aus
dem l mstande, dass Udch nie ein läewohner der .südlichen Lrdhälfle
zu uns gekommen wäre, den weitereu Schhiss zogen, dass dort kein
Kontinent exi.stiren könne, »weil es feststehe, dass die Wassersphäre
grösser sei als die der Erde: mau nüissc demnach annehmen, dass an
irgend einer Stelle die Erde vom Wasser vollständig bedeckt sei.
Da dies mm auf unserer Ilemis]ihäre, wie der Augenschein lehrt,
nicht der Fall 1st. so müsse man es auf der südlichen aimehmen«.
Zu einer derartigen Auffassung gab liesonders noch die Yermutmig
Anlass, dass die AVasserniasse viermal so gross wie die des Erdkörpers
im engeren Sinne .sei. und unter die.scr Voraussetzung mein- als die
Hälfte der -\-i'rcinigten Erd-Wasserkugel vt)m Wasser eingenommen
scni nÜLsse. Es griüulet sich diese Annahme auf die Thatsache. dass
die Erde, als Element, ehie grössere Dichtigkeit als das Wasser zeigt,
und dass. lici einem Vergleich zweier gleichwertiger Klassen-Einheiten
der beiden Elemente, das Wa.s.ser in Folge seiner lockeren Iie.schallenlieit
den grösseren Volumen-Einfang aufweist. Auf eine Hand voll Erde
gehe etwa tausendmal soviel Wasser.-) Al.)er All)ertus weist die
Anwendung dieser lierechnung auf den ganzen Erd-W'as.scrglobus als
ungerechtfertigt zurück: denn wenn hier das jMissverhältnis thatsächlich
a sole, frigus autem multiplicat humores: et kleo a polo in polum decurrit aqua in corpus maris
et extenditur inter Jines Ifispaniae et inter principinm Indiae. — Noch ist zu beineT-ken. cLtss
jener durch Teniper-aturditl-erenzen erzeugte nieridiouide .Strom auch von modernen For s che r n
(Baader, Carpenter) angenommen wurde . -\'gl. S. C l ü n t h e r . I.ehrhuch der Geophvsik,
Stuttgart 1885 I I , 417.
't Basil. Hom. I I I , 5, t. 1, 27; Ristoro von iVrezzo. compos, del mondo S. 71.
-} Diese beme rkenswe r t e Stelle, aul' die noch niennals atd'merksam gemacht ist, lautet
(.\Ihert. Alagn. de nat. loc. I. 12; J an u n y 276): Et quod aqua dicitur occupare maius
spatium quam terra dictum est. von quod ita sit in eßectu, sed cptod ita est proportione aquae ad
terram. Si enim tantum materiae aqnae quantum est in aliqj/a />arte terrae spatio comparatur:
erit aqua in mair/ri ."patio quam sit terra . . . . Si igitur Jiat propeirtio )nateriae aqua ad terram.
e.r uno pugillo terrae fiunt forte mille pugil/i aquae; et epio ad haue j}roportionem dictum est esse
aquam maiori spatio quam terrra. Si enim in ejfectu sie esset, aqua no}i possei liniitari littoribus
terrae: sed in uno erit sttpra terram totum. Sunt tamcu aliqui qui contendunt aquam esse niaie/rem
/nulla prcjportione quam terra: sed Uli fundant intentiemem suam super proportione spissitudinis
terrae ad spissitndinem aquae: et ex tali proportieme. cum nota sit eis proprietas
terrae, aestijnant de quantitate aqua.
SO gross wäre, so könnten die bestehenden Ufer des Landes eine so
gro.sse Wasserfülle doch nicht fassen. Mit diesem letzteren Argument
hatte er jedoch seine Gegner n i c h t widerlegt; deiui diese sahen wohl
ein, dass enie einfache bergartige Anschwellung des Wassers auf der
Süd-Heuü,sj)häre als Erklärung nicht genügte, und hatten deshalb zu
einem anderen Mittel gegriifen. Sic fassten den aus Erde und Wasser
sich zusammensetzenden Körper nicht als eine einzige Vollkugel auf
sondern trennten vielmehr beide Elemente derartig von einander, dass
sowohl Erde wie \\'asser zwei für sich hestehende Sphären hilden,
jede mit ihrem eigenen INLttelpunkt. I):i mm die Erde teihveise über
dem Wasserspiegel hervortaucht, so lä.sst sieh dies einzig und allein
nur so erklären, dass Erd- mid Wasserkugel excentrisch zu euiander
stehen, indem die Erde gleichsam in der Wasserkugel sclnciinmt.
Auch Albertus hat diese Ansicht gekannt, wenn er an cuicr anderen
Stelle sagt, dass ein Viertel der Erde, und zwar in der nördlichen
Hemisphäre, a u s s e r h a l b des We l t c e u t r ums hegen und dadurch
ül)cr dem Wasser hervorragen solle, während sich drei A^iertel von ihr
unter dem Wa.sser befinden und deshalb keine Besiedelung ge.statten,
ausser Schwimmern.')
Diese 'fheorie'-) musste sich aber auch dem geoccntrisehen Weltsystem
anpassen, und sie -wurde daher in geschickter Weise weiter
ausgeführt, indem man nicht, wie bisher, den Erd-Mittelpunkt, sondern
den der ganzen Kugel als den Welt-Klittelpunkt ansah. Vorzüghch
Gregorius Re i s e h , der Karthäuscr Prior, hat in seuier 2Iargar'Ua
philosophka diese notwendig gewordene x\-ljänderung des wichtigsten
Fvuidamentalsatzes im Sy.stcm der alten und mittelalterlichen Kosmologie
aufs Eingehendste erörtert.') Die gesamte 31aterie von Erde und
Wasser ist zu euiein einzigen sphärischen Körper zusammengeballt,
welchem die Plülosophen ein doppeltes Centruin, das der Schwere
und das der Grösse, zusprachen; und zwar liegt das Ccntruin der
Grösse genau im Mittelpunkt der vereinigten Erd-Wasserkugel und
halbirt also deren Durchmesser, bildet zugleich aber auch den IMittelpunkt
der Welt. Dagegen liegt das Centrnm der Schwere (Schwerpmikt)
ausserhalb jenes Punktes, aber doch noch im Durchmesser
') Alb. Magn. nat. loc. V, 270.
-) Vgl. S. G ü n t h e r , Altere und neuere Hypothesen übe r die chronische A'ersetzung
des Erdschw-erpnuktes durch Wa s s e rma s s en, (Heft HI der Studien zur Geschichte der math,
imd phys. Geogr.) Halle 1878. Fe rne r Kr e t s chme r , Phys . Erdkde . , S. 68 11',
Greg. I l e i s c h , Margarita pliilosophiea, (in Fo rm eines Dialoges zwischen einem
Magister und seinem Diseipulus) Fr e ibe rg 1503, lib. "NTI, tract. 1, c. 42, Ibl. 148. — \ 'gl .
ausserdem Uuge , Geseh, des Zeitalters d. Entde ckungen, S. 97 1'.
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