
Wie nun die A^orstelliujgen vom "\\'elt))ild sicli bei fillmiilüiclier
Erweiterung des geographisclien Gesichtsfeldes im Altertum cutwickelten,
wie späterhin im Mittehiltcr ein starrer Typus für dasselbe
sicli Iierausbildete, und wie schliesslich die Entdeckung Amerikas zu
einer vollständigen Umwälzung der bestehenden Anschauungen führte,
— alles dies soll der Gegenstand des vorliegenden Werkes seni.
In der naiven Volksanschaumig der ältesten Grieclien, wie sie
uns in den homerisclien Gedichten vorliegt, war die Erde eine Scheibe
von massigem Umfang, welche wenig mein' als die Länder des östlichen
Blittelmeergebietes in sieh liegritF. Erst durch den regen Handelsverkehr
und die koloniale Ausbreitmig der ionischen Städte Ivlein-
Asiens, welche den nationalen Aufscliwmig des ganzen Griechenvolkes
bedingten, fanden neue Anschauungen Eingang, und die ionischen
Philosophen, zugleich die ersten Geographen, vaissten die Fülle von
allen Enizelmitteilungcn mit bewundernswertem Schartsinn zu einem
grossen Ganzen zusammenzufügen, so sehr auch ein Ilerodot daran
zu krittebi fand und in dieser Beziehung zwar zersetzend, jedoch nicht
neu aufbauend zu wirken vermocht hat.
Hatten die lonier, und mit ihnen Herodot, noch die ältere Auffassung
von der Erde als euier Scheibe vertreten, so brachte erst
die pytliagoräische Lehre von ilirer Kugelgestalt die Vorstellungen
vom Weltbild in ein neues Stadium der Entwickelung. Die frülier
unbegrenzt gedachte Fläche des Oceans, auf welcher die Erdscheibe
schwimmen sollte, war nunmehr auf eine Kugel mit einem
bestunmten Arealgehalt beschränkt. Freilich drängten sieh jetzt eine
Reihe von Vorfragen auf, deren Lösung noch abzuwarten war, ehe
man zu weiteren Spekulationen vorschreiten konnte. Die mathematische
Bestimmung der Erdkugelgrösse, sowie der Längen- und Breiten-
Ausdehnung der Oikumene, ferner die Frage nach der Bewohnbarkeit
der Erdoberfläche luid der möglichen Existenz von Antipoden, rückten
in den Vordergrund de,s Litoresses, und die Losmig dieser Fragen gab
die Grundlage für die wechselnden Vorstelimigen ^-om Weltbild al).
Gemeinhin .stellte man sich die Oikumejie zu gross vor, bezieluuigsweise
die Erdkugel zu klein; mit anderen Worten, man glauljte von
der Erdkugeloberlläche crfalirungsinässig schon mehr erkundet zu
haben als es tliatsächlich der Fall war, Aristoteles und IMariiuis von
Tyrus gaben der Oikumene jene übermässige Längenerstreckung, wodurch
der Atlantische Oeean zu einem schmalen Meeres-Arm zusammengepresst
winde. Aber auch Ptolemaeus, welcher sie auf 180 Längengrade
beschränken zu müssen glaubte, hatte sie noch weit überschätzt.
Mit dem Verfall der Wissenschaft im früheren Mittelalter trat
ein Stillstand in der Weiterentwickelung der Weltbildfrage ein. Man
versetzte sich in frommem Glaubenseifer in den Vorstellungskreis des
Bibel-Erzählers zurück, welcher im Wesentlichen dieselben Anschauungen
•vertrat, wie die homerischen Dichter. Erst sehr allmählich lernte
man wieder die Lehrmeinungen der Alten keimen. Li der ersten
Hälfte des Mittelalters waren es die römischen Kompilatoren, in der
späteren vorzügUch der in lateinischen Übersetzungen vorliegende
Aristoteles, welche eifrigst ausgebeutet wiu'den. Aber man nahm von
ihren Anschauungen doch nur äusserlich Kenntnis. Man hatte für die
Kreisform der Weltkarte eine gewisse Vorlielie gefasst, und dieselbe
erhielt sich das ganze Mittelalter hindurch. Die methodische Behandlung
der Geographie, wie wir sie bei den griechischen Gelehrten
finden, die Betrachtung der Oikumene luiter stetiger Bezugnahme
auf die Totalität der Erdkugel, blieb dem Mittelalter vollständig
fremd. Wohl war die Lehre von der Kugelgestalt der Erde wieder
zu allgemeiner Geltung gekommen; aber die Probleme, welche gerade
die »Geographie der Erdkugel« hi diesem umfassenden Sinn aufwies,
vermochte man niemals im Kernpunkt zu erfassen. Die Betrachtung
des Weltbildes war daher im ÄEttelalter eine durcliaus
einseitige; man befasste sich nur mit dem bekannt gewordenen Teil der
Erde und stellte diesen in einer abgezirkelten Kreisfläche dar. Wie sich
diese Kreisfläche aber, auf einen Globus übertragen, ausnehmen würde,
darüber hatte man selten nachgedacht; denn jeuer Versuch des
XHl. Jahrhunderts, für die Kreisgestalt der Land-Lis(d aus astrologischen
Spekulationen heraus eine Erklärung zu gel)en, steht vereinzelt
da und ist niemals Gemehigut der scholastischen Geographie geworden.
Es kam die Zeit des Ul i e rgange s . Ptolemaeus ist n i c h t der
Geograpli des Mittelalters geworden. Wohl finden wir unverkennljnre
Spuren ptolemaeischen Einflusses in der mittelalterhcheu Kartographie
s i i S. i i i t - ls i :iL